Marlans Story , Roman

 

 

Marlans Story - eine zeitlose Geschichte    
                                             von KayUte Kühn, 2018

 Marlan wandert in einer unbekannten Zeit und sucht ihre Weggefährten. Dabei wendet sie an, was sie im Laufe der Jahre gelernt hat, spirituelle Lehren tauchen auf, werden beleuchtet, doch zum Überleben dient die eigene Wahrnehmung der Natur, das Vertrauen in die innere Fähigkeit des Sehens und Vertrauen in das Geführtwerden durch Situationen der Orientierungslosigkeit hindurch, und den großen Sinn hinter dem Ganzen.

 

 

Sonnenspirit mystic places Kraftorte magische Orte Ortskräfte Wandlungsorte erfahren erleben bereisen besuchen ansehen mit dem Geiste wandern und sie wandern im Geiste wandernde Heiler heilendes Wandern und wandeln mystic Mystik wandelnde Wege   am Wegesrand am steinigen Ufer auf der windigen Ebene im Rauschen der großen Bäume kräftigende Orte erhellende Sinne Von meer zu meer zwischen den Wassern Stein und Knochen

 

1 Am Anfang

 

Und sie ging los, in Richtung Süden. Die Erde hatte sich geschüttelt und nicht viel war an seinem Platz geblieben. So wie die Tiere sich ihr Fell schütteln und die Tröpfchen nach allen Seiten fliegen, hat sie ein paar  Winzlinge auf der Oberfläche durcheinander gebracht. Die Frau hatte graues Haar, doch sie fühlte sich jung. Es war, als sei ein neuer Morgen angebrochen, auf den sie lange im Dunkel gewartet hatte. Ein Tag. Am Meeresrand entlang. Keine Eile. Denn das Ziel war bereits erreicht. Das Ziel war Sein oder sich sein, niemand wollte aber allein sich sein und so rief es, zu den Orten der Kraft zu gelangen, an denen sich diese Seienden trafen. Die Erde war leer.

 

Sie erfühlte mit ihren erweiterten  Sinnen ein Gleichgewicht, welches die Fülle des Natürlichen wieder erreichte. Ihr Name war vielleicht nun, da alles neu im Werden begriffen, nicht mehr der Alte. Auch die Möglichkeiten hatten sich geändert, Freude erfüllte das Herz. Es dehnte sich wie nach endlosem Schlaf und tastete um sich. Und ja, da war Schönheit und Wärme. Die Augen sahen Land, sie sahen Wasser. Das Herz sah, dass es leicht wurde. Melodien kamen ihr in den Sinn, der Frau, welche ihren Namen nicht mehr fand. Jemand sang und flüsterte in ihren inneren Geweben und es war in Ordnung. Es gab nun keine passende Landkarte mehr und das Gespürte war entscheidend. Die Ordnung. Ein langer Sandstrand erstreckte sich vor den Füssen, sie bohrte die nackten Zehen in den feinen hellen Sand: der Körper der Erde selbst existierte. „Marlan“ sagte sie leise vor sich hin, „Marlan“. Das Wort , oder der Klang gefiel ihr.

Ein Strang aus Algen schaukelte träge in den Wellen vor und zurück. Marlan fischte ihn heraus, streifte das Wasser ab, und wand eine Schlinge um die flatternden Haare, denn der Wind wehte ihr die Haarsträhnen ins Gesicht. Es gab sie noch, die Möwen. Sie hatten den Raum um sich, ohne Anfang, ohne Ende. Nun war auch sie nicht so anders, befreit von Gedanken, die nicht ihre gewesen waren. Wer ohne sie nicht leben konnte, irrte nun verzweifelt in einem Niemandsland

dahin, welches nicht mehr seiner Welt entsprach. Das galt wohl für die meisten der Leute. Sie würden anderswo neu beginnen in einem anderen Zeitalter. An dieser Stelle waren keine von ihnen zu sehen. Aus diesem Grunde würde sie noch ein paar Tage warten müssen, es vorsichtig beginnen. Ein Bild von einem Ort lebte in ihrem Herzen, das sie anzog und die Motivation erschuf , nach diesem Ort zu schauen. Kinder. Es musste eine ganze Menge Kinder geben, welche die Eigenschaften hatten, nicht verloren hatten, die besonderen Sinne, welche eine neue Art zu leben für ganz natürlich halten würden.

 

IN einer Ecke des Strandabschnittes hatte sich Treibholz angesammelt und es bot sich dort eine windstille Rast an. Der Sand war dort trocken und warm. Steine lagen darin bunt verteilt, und Marlan wühlte im Sand ein wenig herum. Da, ein roter Feuerstein. Er war glatt und scharfkantig. Während Marlan ihn in der Hand hielt, schien er so eine Art von Gegenwart zu entwickeln, dass sie fast aufhorchte. Ist sie nun in den Lage, mit den Steinen zu sprechen? Aber ja, das war sie auch vorher schon gewesen und es hatte sie so von den Leuten aus dem Dorf unterschieden. Sie war deswegen auf ein Dorf gegangen, denn in der Stadt gab es fast gar keine Menschen, die diese Eigenschaft hatten oder haben wollten. Es wäre auch schwer gewesen, so weiter zu leben wie sie es taten, hätten denn alle Dinge zu ihnen geredet.

Ja, sie fühlte eine Traurigkeit, wenn sie an sie dachte. Es waren lustige, liebenswerte, ideenreiche und so viele Menschen da gewesen! Was wohl aus ihnen werde? Würden sie jetzt die Steine ihrer Häuser flüstern hören oder in ihrer Angst zu hungern weiter zerstören? Nun hatte sie den Stein und er gab darauf keine Antwort. Er gab ihr die Idee, einen Kreis aus seinesgleichen zu bilden. Ein kleiner vollkommener Kreis aus eckigen und runden bunten Steinen in den sie etwas Holz hineinlegen konnte. Doch wie entzünden? Es war ein unnötiger Gedanke,denn sie brauchte kein Feuer. Es war vielmehr ein Zeichen, welches sie da hinterließ. Es könnte ihresgleichen sagen, dass sie nicht allein waren. Ein tröstliches Zeichen, etwas Vertrautes in einer fremd gewordenen Welt.

 

Und doch scheute sie, unter Menschen zu gehen. „Höre meine Geschichte“ sagte der Stein deutlich. „ Ich komme aus dem All ebenso wie du.“ Marlan  blickte auf das Wasser hinaus, die Wellen schoben sich langsam wieder näher heran. Das war also geblieben, die ewige Ebbe und Flut, der Rhythmus der Elemente des großen  Wassers. An vielen Stellen des Ufers, ja, des Ufers eines ganzen Kontinents,  von dem jetzt niemand wusste, welche Form er angenommen hatte, war das Wasser an zuvor abgesperrten Gebieten eingedrungen und hatte weite Flächen überschwemmt. Das hatte es schon früher gegeben und  man hatte auch davon gewusst. Für die Vögel war dies ihr Land gewesen, bis der Mensch es ihnen mehr und mehr weggenommen hatte. Und dann hatte er nach und nach den Rhythmus verlernt. Die Fruchtbarkeit verloren, die das Wasser ihm als Geschenk gebracht hatte. Hatte sie Angst? Nein. Es schien alles so friedlich, so still. Außer dem Rauschen des Windes , den fernen Vogelschreien, dem leise an und abschwellenden Wasser war die Welt stehen geblieben. Das war Leben in einer anderen Zeit.

 

 „Höre. Für mich und meine Freunde ist dies wie ein Jahr gewesen, -die tausenden und abertausenden Jahre, in denen ihr Menschen hier eure Entwicklung nahmt. Wir haben euch begleitet. Darum sind wir einst gekommen. Einmal waren wir Feuersteine wichtig für euch, dann waren es andere unserer Familien. Glaubst du, ohne uns wäre hier irgendetwas möglich gewesen? Oh das Feuer, auch das haben wir entzündet. Doch manche Völker erkannten, dass es mehr an Kraft in uns hatte. Sie machten ihre heiligsten Werkzeuge aus unserem Stein. Denn einige konnten immer mit uns sprechen. Ihnen wurde zuletzt die Macht genommen, es verkehrte sich alles. Und auch das hatten wir gewusst. "Wenn kein Stein mehr auf dem anderen steht. "

So hieß es in alten Schriften, und es sagte das Ende der Kulturen voraus. Doch der Stein, er ist noch da. Es ist Zeit, wieder mit uns im Geiste zu erschaffen. Stein und Knochen, sie sind nicht verschieden. Wir folgen dem ewigen Licht, welches uns immer kennt. Einige Menschen, welchen den Stein in ihren Knochen kennen, sie sind im ewigen Lichte zuhause willkommen und unsere Freunde.“ Und dann kam Marlan die Idee, sie könne einmal probieren, sich mit diesen Algen anzufreunden, die am flachen Rand des Sandes heran geschwemmt wurden. „Ja, auch wir sind lange hier. Wohl länger als alle anderen Pflanzen. Und in uns ist alles enthalten, was Nahrung gibt. Nimm, Menschenkind. Wir sind du und du bist wir.“

Sie schmeckten salzig und rochen stark. Und Marlan empfand freundliche Berührung, so dass ihr die Tränen aufstiegen. Die Antwort ohne Worte aus dem Herzen. Salzig wie das Wasser. Sie musste die Algen, die Uralten, waschen. Im Weiterwandern käme sicherlich wieder ein Bach in Sicht, der hier in das Meer floss. Da wo das süße und das salzige Wasser sich vereinen, war es, als wenn die Luft und Silber tanzen. Die Oberflächen der Wasser waren immer in Bewegung, sie spiegelten den Himmel und zerteilten die Flächen in winzige Fragmente. Ein Wunder, alles. Dass Wasser noch trinkbar war, wäre wohl ein Wunder über allen anderen. Und wieder sprach der Stein in ihrer Hand:“ Die Alten wusste es noch, dass mit dem schwarzen Feuerstein das Wasser gereinigt wird.“ Oh. Und dafür war dann ein Gefäß von Bedeutung.

 

Hier und da lagen Muschelschalen in Mengen am Saume. Doch diese waren klein. Marlan wanderte langsam, den Boden abtastend mit den Augen, und zugleich ein inneres Gefühl befolgend, welches sie hier und dorthin lenkte. Erst einmal suchte sie schwarzen Feuerstein zu sichten, dies war nicht schwierig. Oftmals waren die rundgewaschenen und organisch geformten Stücke mit  weißer Rinde aus Kalk überzogen, unter dem an den Bruchstellen der schwarze Innenkern sichtbar wurde. Nun wurde es schon ein wenig schwer, zu viel mit sich herumzutragen. Marlan nahm einen Stock, an dem sie versuchte, die Steine mit Gestrüpp zu umwickeln und zu befestigen. Diesen wollte sie dann hinter sich herziehen. Doch klar , das würde eine längere Flechtarbeit in Art einer Trage erfordern.

 

Wege

 

Nun würde sie vom Strande weg in das Gebiet der Bäume gehen müssen, um die Geschenke deren Körper zu erbitten. Der Himmel war bedeckt wie seit Tagen. Es zog noch viel Staub in ihm umher. Es war warm. Wärmer als je zuvor in dieser Gegend. Am Bache entlang tastete sich Marlan durch die wilden Pflanzen, am besten war es im Strome selbst zu laufen. Auch hier gab es nährende Blätter. Und es gab die Gräser, mit denen sie die Steine umflechten konnte. So würde sie den Rest des Tages hier verbringen, im Schutze der Vertiefung, die der Bach eingeschnitten hatte. „Sing“ sagte der Bach. „Sing mit uns, wir lieben  deine Stimme als eine der vielen in einem großen Lied der Erde.“ Weiter im Süden hatte sie einen Freund gehabt, und sie dachte daran, wie schön er singen konnte. Marlan machte sich ein Nest in den hohen Gräsern . Sie erinnerte sich. Es war Sommer gewesen und doch hatte das Wetter so komische Einfälle gehabt.

 

Die Apfelbaumblüten waren fast erfroren im Frühjahr. Dann wieder wurde es heiß. Doch was konnte man tun? Jetzt jedenfalls sollte sie alles sammeln, was essbar sein konnte, von dem sie wusste. Die Blüten und Blätter des Löwenzahns auf jeden Fall. Und sie erinnerte sich an mehr Orte, von denen sie Bilder gesehen hatte, die auf ihren Reisen gelegen hatten und wo ein Winter wie hier nicht zu erwarten war. Doch woher konnte sie wissen, was zu erwarten war, dennoch war der Mensch nicht geübt, ohne Erwartung zu leben. Vielleicht war es tatsächlich so geworden, dass nun die Erwartungen wahr wurden, dass jeder sich seine Wahrheit selbst erschuf, und an diesen Gedanken war niemand gewöhnt. Es hatte ja schon Prophezeiungen gegeben, allerdings hatte es die immer gegeben, tausende von Jahren waren sie alt. Dann kamen die Wissenschaftler und bestätigten das eine und das andere. Nun, um in den Süden zu gelangen, wie auch immer er jetzt aussehen mochte, musste sie einen großen Fluss überqueren. Einen mindestens, und der lag bei einer großen Stadt.  Sie stellte sich vor, dass es dort Boote geben musste, wenn auch die Brücken die Erdbeben nicht überlebt haben würden.

 

Sie würde das Material finden, im Schilf, um einen Tragekorb zu flechten, und jetzt nahm sie erst einmal einen Knoten im langen Rock, um dort ihre Sachen unterzubringen.

 

Einige Tage ging sie so, in einer Art ruhiger trancemäßiger Haltung, sehr aufmerksam und zugleich wie im Traum. Sie fand hier und da essbares, blieb am Wasser und dort war niemand sonst zu finden. Niemand konnte vorhersagen, ob sie sich nun in einem Gebiet befand, welches von zerstörten Atomkraftwerken oder anderen Giften unbewohnbar geworden war. Daher musste sie ein Auge auf die Tiere haben. Verhielten sie sich ganz normal , oder war etwas auffällig? Es war zumindest ein guter Grund, sich zu bewegen, denn zu lange an einem solchen Ort verweilen konnte unwiderrufliche Folgen haben.

 

Als sie dann den ersten Menschen begegnete, stellte sie fest, dass diese alle in der entgegengesetzten Richtung unterwegs waren. Diese kamen aus der Stadt, wo es bald Probleme geben musste. Da sie wussten, im Norden gibt es Land und Bauern, machten sie sich auf den Weg.Es gab keine Nachrichten oder Anweisungen mehr, denen sie wie Schafe folgen konnten. So hat sich jeder auf seine Intuition verlassen oder auf Information, die er aus Erfahrungen hatte oder sogar Gerüchte und Falschmeldungen.

Marlan konnte nicht sagen, warum es sie selbst dorthin trieb, wo es dem Verstand nach schwieriger sein musste. Sie handelte nicht nach dem Verstand, der auf alten Pfaden basierte. Denn nichts funktionierte so wie zuvor. Als sie eine Weile am Ufer des großen Flusses gewandert war, der so breit war, dass er vom Meer erst nicht zu unterscheiden war, sah sie die Zerstörungen der Gebäude, der Straßen, und dass einige  Leute einfach da blieben und versuchten, sich wieder einzurichten. Sie beachteten sie nicht wirklich und sie wünschte das auch nicht. Es war wohl so, dass niemand Kraft übrig hatte für Fremde.

Andererseits waren auf einmal alle Fremde, die sich nicht in den Herzen begegneten. Diesen  hatte sie auch nichts zu sagen. Es musste eine Begegnung aus dem Augenblick sein, an der sofort zu erkennen war, ob dies im Geiste und im Sinne der Erde war, was in ihnen vorging. Es musste nicht erklärt werden. Vielleicht gab es so etwas wie einen heiligen Pfad, der in ihr wohnte, der so alt war, dass er auch die neuen Ereignisse überdauert hatte. Ein goldener Faden in der Hand der Erdenmutter selbst, der sie entlang ihrer Füße führte. Die Füße wussten viel. Hier gab es nun schon weniger Tiere, denn die Enten und Gänse des Flussufers, die so lange mit den Menschen gelebt hatten, wurden jetzt zum Essen gefangen. Man wollte sie vor den anderen besitzen. Marlan spürte kaum Hunger, denn sie hatte in ihrer früheren Zeit gelernt, dass Menschen von Licht leben konnten. Es bedurfte eine Ausrichtung, dem Körper sozusagen Mitteilung davon zu machen. Einige hatten es vorgemacht, und so lebte sie in der Erwartung, dass eine Form von Sonnenlichtumwandlung möglich war. Vorausgesetzt, sie bliebe in dem Zustand der Offenheit. Der war anderen, die nun völlig überrascht ihre Verluste erlebten, nicht so einfach beizubringen. All diese Einschränkungen im Denken machten es jetzt unüberwindlich. An den Rändern des Flusses türmte sich Schutt und Dreck, verschiedene frühere Ausflugslokale waren jetzt zum provisorischen Wohnen umgewandelt. Hier sah man schon, das Recht des Stärkeren würde zuallererst die Wahrheit derer werden, die nichts anderes kannten.

 

Am Fluß

 

 Es gab aber auch noch Boote, und da nichts maschinelles mehr Antrieb hatte, wurde gerudert und gesegelt. Die gesamte Stromversorgung konnte sich nicht halten aus irgendwelchen elektrischen Gründen, die keiner verstand. Nun war ein reger Verkehr in ihre Richtung unterwegs und es war gar nicht so schwer, eine Tour in leeren Booten zur Stadtseite zu finden. Nur sie hatte nichts zu geben. Ein alter Mann sah ihr in die Augen. Ein Seemann, dessen Augen das Meer in sich hatten und viel Fernes gesehen. Es gab nichts zu sagen. Das war ihm sowieso lieber. Sie konnte in seinem Holzboot Platz nehmen, welches er mit zwei anderen gemeinsam ruderte.  und gemächlich schaukelte es , bis es von der Strömung erfasst wurde, die es ein großes Stück wieder flussabwärts trieb in Richtung der Mündung, bevor sie das andere Ufer erreicht hatten.

Das dauerte. Im Wasser schwamm viel Dreck und Müll, auch große Dinge, die gefährlich werden konnten. Die Männer manövrierten geschickt mit dem Ruder und der Alte hob die Hand zum Abschied, nachdem sie ein wenig umständlich aus dem schwankenden Gefährt geklettert war. Sie lächelte und es war ein strahlendes Lächeln, Dort war sie schon fast wieder aus den städtischen Trümmerbergen heraus, die sie mit Schrecken gewahrt hatte.

An diesem Ufer saßen jene, die auch sonst ihre Zeit mit dem Angeln vertrieben hatten und nun eine Notwendigkeit darin sahen. Einer neben dem anderen. Und es warteten andere, die die Überfahrt machen wollten. Auch hier wurde nicht viel geredet. Als wären die Menschen noch nicht wirklich angekommen aus ihrer anderen alten Welt. Und könnten es auch nicht. Ach, diese stolze Kultur mit all ihren Errungenschaften, auch dem Schönen. Sie hatten sich so ins Große hineingesteigert. Immer größer musste alles werden, ganze Illusionswelten für Massen von Menschen wurden erfunden, realisiert, diese dann wie durch Magnete gelenkt und gesteuert, ohne dass sie es gestört hätte.

Schade, dass all diese Größe eine Leere anderswo auf der Erde zur Folge hatte. Sie wollten in der virtuellen Welt scheinbarer Größe sein. Daher hatten sie jetzt erst mal keine neue Idee, wie es anders geht. Denn ohne elektrischen Strom hatte noch keiner andere  Welten durchwandert, schon gar nicht innere. Aber sie hatten doch alle eine Vorstellung von der Welt erhalten, ganz anders als Generationen vor ihnen. Das Land im Süden, so hieß es, sei weit überschwemmt worden. Da könne keiner hin.

Das galt auch sicherlich für die Massen, die alles gern wie die anderen machten. Wo könnte man in Massen hin? Sie hatten das alles schon gesehen, wie schwierig es war, bei anderen Flüchtenden, die in Lager getrieben worden waren, wo sie kaum ihr Überleben in eigenen Händen hielten. Marlan sagte sich, eine alte Frau allein könnte sich schon besser helfen. Und langsam wie sie war, würde auch das Wasser wieder zurückgehen. Kleine Gruppen junger Leute saßen am Rande des Weges, den sie nun wieder dem  Meeresufer entgegen , betrat. Die Stimmung war drückend, der Himmel war drückend, und sie fühlte nicht den Impuls, ihnen ein: “Kommt mit“  zu offerieren. Sie war niemand in ihren Augen. Sie warteten und wussten nicht, worauf. Eigentlich wollten alle glauben, dass die Situation sich wieder ändert, dass die Autos wieder fuhren, und die Supermärkte öffneten. Sie glaubten noch, dass die Regierung käme, um ihnen zu essen zu bringen. Sachen hatten sie ja genug. Sie hatten kein Wasser und keinen Plan. Und deshalb war es doch gut, dass sie nicht einige Wochen später durch die ehemalige Stadt reiste.

 

 Je näher Marlan wieder der Küste kam, umso frischer wurde der Wind und sie atmete auf. Ganz wohl war ihr nicht gewesen auf diesem Umweg. Müde war sie auch und es war Zeit, einen versteckten Platz für die Nacht zu suchen. Wieder ein Tag. Sie fragte sich noch, ob es Sinn mache, einen Kalender aufrecht zu erhalten. Ob dies die Stunde Null sein könnte für ein neues Buch , mit den Aufzeichnungen aus langer Zeit, an die sich sonst niemand erinnern werde. Sie hatte ja keine Nachkommen. Allerdings nahm es in tausend Jahren niemand mehr so genau. Nun gut, sie machte einen weiteren Strich auf ihrem Wanderstock, und nahm sich vor, auf den Mond zu achten. Man sah ja nichts außer Wolkendecke. Sie war nun froh, dass sie ihren Mantel noch hatte,

denn die Ebene war so ungeschützt. Es dämmerte schon. Die Stadt sah man nicht am Lichtschein so wie früher.

 

 

 „Marlan, Marlan“ ,jeder Schritt sagte ihren Namen, sie gab dem Weg ihren Segen. So wie es einmal war, wenn Pilger  nicht um des Ankommens Willen voranschritten, sondern um sich durch  das Land zu erleben. In ihrem anderen Leben hatte sie gelesen von solchen Pilgerwegen, und diese wanden sich einerseits auf bestimmten Kraftlinien, die die Erde selbst dem Menschen zu erkennen gab, andererseits bekamen die Linien durch die Hingabe so vieler Menschen noch eine weitere Kraft hinzu. Es waren Völker im Süden, die noch eher von Wundern sprachen und heiligen Orten. Wo sie lebte, war das ganz aus der Mode gekommen, ja man hatte darüber gelacht und Menschen wie Heiler übten ihre Kunst meist ganz im Stillen aus, weil man ihnen übel nachreden konnte. Doch auch im Süden durften nur bestimmte Namen heilig sein, es war immer eng und nicht im Geiste eines Schöpfers, der Vielfalt liebte.

 

Granit

 

Marlan kam wieder an den Strand, der überall von einem Deich gesäumt war. Auf dem konnte man auch entlang laufen, doch man wurde weithin gesehen. Sie kam an Schafen vorüber, die hier den ganzen Sommer über allein auf der Weide waren. Und doch wusste sie, dass bis nach dort, wo Frankreich gewesen war - hinein diese Küste sehr unbeständig war, Sand und Sand, flach und ohne festen Halt. Dies war in Bewegung. Sie würde vielleicht Monate brauchen. Und dann eine andere Landschaft mit Granitfelsen erreichen, eine Landschaft mit Bergen und Höhe. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese die Umwälzungen so erschüttert hatte, dass sie nicht mehr da seien. Und auch gab es dort Dörfer, in denen die Menschen noch wie die Alten lebten. Es gab Höhlen und Eichenwälder, zumindest wäre das schön, wenn es dies alles noch gäbe. Denn Marlan war sich sicher, dass da noch etwas zu tun war. Eine Art von Gemeinschaft musste auf neue Weise errichtet werden und – sie konnte das sehen – eine andere Art von Ära brach nun an. Immer wieder hatte sie selbst Visionen gehabt, von denen sie kaum wusste, wie sie diese ihrer Familie oder anderen vermitteln sollte. Sie war froh, dass es einige wenige gab, die ebenso sahen. Manche von ihnen hatten öffentliche Auftritte gehabt und die Angriffe aller Seiten zu ertragen gehabt.  Einige sagten aber auch Dinge, die wieder in eine Form von Autorität führten, die ihr nicht gefiel. Es war ihre Hoffnung, dass die Gleichgesinnten, die Wissenden von überall ebenso ihre Ahnung hatten, wohin zu gehen sei, und sie diese anderen endlich treffen konnte, um nicht mehr allein zu bleiben.

 

Die Nacht.

 

Es kamen unruhige Tage, so dass Marlan nur noch nachts voran kam. In der Nacht konnte sie sich auf ihre Intuitionen verlassen. Gefahren konnte man nicht immer aus dem Wege gehen, doch sich umgeben mit einer Aura der Unsichtbaren. Es erforderte schon derartige Erfahrung, denn Gedankenkontrolle wollte geübt sein. Die Kunst lag darin, den anderen keine Gedanken zu senden, die womöglich noch mit Angst gepaart waren. Es war auch möglich, sich in eine andere Gestalt so hineinzuversetzen, dass sie in ihrer Ausstrahlung als eine solche wirkte. Das allerdings war selbst nicht ganz gefahrlos, zu viele hatten aus einer solchen Verwandlung nicht mehr herausgefunden und aufgrund von Angstüberwältigung diesen Anteil als handelnde Persönlichkeit übernommen. All dies hatte Marlan durch die alten Bücher erfahren und von Lehrern alter Völker. Nur in solchen Landschaften, die schwer zugänglich waren und wo die Gesellschaften alte Traditionen unverändert pflegten, hatten solche Lehrer das Wissen für die heutige Zeit aufbewahrt und es sollte auch jetzt in den Unruhen nicht verloren gehen. Eines Tages könnte sie vielleicht eine der wenigen sein, die all das weitergaben, so dass es aufgeschrieben werden konnte. Gut waren auch Lieder und andere Wege. Denn wie sie erleben mussten, hatten die aufgeschriebenen Worte die Bedeutung verloren. Sie waren zerstört worden und verdreht. Es kamen die Namen und es gingen die Namen der Götter. Niemand wusste mehr, wer die Ersten von ihnen gewesen waren, und dass zuallererst die Bäume als Lebenserhalter und das Meer als Urmutter geehrt wurden. Doch später wurden alle diese, welche mit den Menschen leben wollten, in der Ehrung als bedrohlich empfunden und die Ehrungen selbst nahmen groteske Züge an. So blieb es.

 

Angesichts der riesigen Kräne und Containerhäfen, die Marlan nun auf ihrem Wege am Meer umgehen musste, kamen diese Gedanken in die Richtung, dass Menschen sich selbst diese bedrohlichen Mächte erschaffen hatten. Sie hatten nicht gewusst, dass sie selbst alles erschaffen in ihrer Welt. Klar, nun hätte Marlan sich nicht gewünscht, diese Ereignisse zu erschaffen, doch die Gesamtheit musste natürlich respektiert werden und diese hatte viele ihrer persönlichen Schatten auf die Natur und in die Außenwelt geworfen, von wo sie nun auf sie zurück spiegelten. In Form dessen, was die Zivilisation genannt wird, welche ihre eigenen Grundlagen entwurzelt und nun in einem Zerfall begriffen ist. Marlan bewegte sich innerhalb des Zerfalles in einer Form von eigener Vorstellungswelt. Das war zu ihrem Schutz notwendig.

 

 Erinnerung

 

Völlig auffällig war doch gewesen, dass auch in den letzten Jahrhunderten die Techniken immer verfeinert wurden, diese Eigenheit der Projektion eigener Vorstellungen abzubilden. Das mündete jedoch gar nicht mehr in eigenen Vorstellungen. Unmerklich wurden die Gedanken gelenkt und das Mittel der Technik hatte sie alle in der Hand. Es war der Grund, warum zuletzt selbst die altehrwürdigsten der alten Gelehrten auch diese Mittel nutzten, um viele Menschen zu erreichen und ihnen die Lehren mitzugeben, wie sie ihren Geist als Instrument verwenden können. Auch diese Lehren fanden Zuspruch, denn es war schon einigen klar geworden, dass es so nicht weitergehen könne mit der Welt. Der Rinpoche, von dem Marlan so viel wie sie konnte in Erfahrung gebracht hatte, reiste damals unermüdlich um die Erde, in alle Kontinente, stärkte dort Gruppen, die sich in Mitgefühl und Bewusstsein übten, die alte Sprache und die Bedeutungen zu erhalten, und zwar enthielt diese Lehre ebenfalls das alte Wissen um die Kraftorte. Die Orte wurden also nicht beliebig ausgewählt.

Schon einmal war diese Linie des Wissens fast ausgestorben, mächtige Gegner hatten sich große Mühe gegeben. Es ging dabei nie um Religion. Auch andere Religionen hatten solche kleinen Zweige, manchmal nur Familien, die sich abseits der großen Mächte hielten und etwas viel Kostbareres bewahrten als Macht. Unweigerlich ging in Machtkämpfen die Essenz der Religionen verloren, oft wurden sie hohle Gefäße für die egoistischen Interessen der Priester oder Priesterinnen. Nun, die letzteren hatte es nicht mehr gegeben, auch ihr Wissen war verfolgt worden und lebte im Geheimen weiter. Schon dafür war die Kunst sich unsichtbar zu machen, wichtig gewesen, viele hatten dennoch ihr Leben gelassen für die Essenz. Nun die Essenz ist nichts Materielles. In Tibet hatten Wissende ihre Schatztexte in Höhlen der wilden Gebirge versteckt, so dass sie sie zu späteren Zeiten in einer neuen Verkörperung wieder finden konnten. Die Schatztexte enthielten nicht nur Worte, sie enthielten Verbindungen. Die wahre ursprüngliche Kraft vom Wort lag immer in der damit herstellten Verknüpfung seelischer und geistiger Art, so dass eine Wesenheit, ein Bild von etwas geformt wurde in der Vorstellung des Erkennenden oder Singenden. Also hatten Gebete Kraft und so ist es geblieben, vor allem wenn sie von Vielen gesprochen werden. Doch in jedem Einzelnen ist der Geisteszustand entscheidend, in dem die Worte ausgedrückt und mit dem sie verbunden sind. Wem geben sie Macht ? Die Rituale entfalten eine hypnotische Wirkung, eine Trance, um Menschen zu verbinden .Die Sehnsucht, mit seinem Ursprung zu sein ist im Menschen. Wir sind alle ständige neue Verkörperungen des Ursprungs, wir sind der Ursprung in einer seiner Formen oder Gefäße. Das aber wurde nicht gelehrt.

 

Marlan erinnerte sich, dass sie schon als Kind geheime Geschichten schrieb und diese in Baumhöhlen versteckt hatte, weil sie fasziniert von Märchen und Mythen sich an sich selbst erinnerte.

 

Schatztexte

 

Nun war sie aufgebrochen, ihre Schatztexte wiederzufinden. Das war nicht selbstverständlich, die meisten Frauen ihres Alters hatten Kinder und Enkel, um die sie sich sorgten oder umgekehrt. Sie blieben, wo sie immer waren. Sie war eben immer ein wenig anders, was es ihr auch nicht leicht gemacht hatte. Ihrer Essenz hatte sie sich in den letzten Jahren erinnert, und diese führte sie nun. Es ging darum,

die Kraft der Sichtbarkeit der Essenz wiederzubringen. Wovon hatte der Rinpoche[1] gesprochen, ganz zuletzt, bevor die Systeme ausfielen? Er hatte gelehrt: keine Angst vor dem Sterben. Und vermutlich lehrte er das immer noch, wo er auch gerade war. Wir sind der Himmel, sind wie der unbegrenzte weite Himmel unendlich und ewig. Wir sind nicht die Wolken und auch nicht IM Himmel.

 

Viele der Höhlen in den alten Bergen enthielten die Erinnerung an die Essenz als Bilder. Sie zu lesen als Verbindung zu dem Abgebildeten war der Zukunft vorbehalten. Es gab sie noch, die wissenden Alten, die, die ihre Ahnen kannten. Einige wenige lebten mit dem Herzen, und sie teilten nun ihre Geheimnisse, jedenfalls was erlaubt war, und manchmal mehr.[1]  Es gab strenge Regeln in den Stammesgemeinschaften über viele Jahrhunderte, während fast alles was sie hatten, gestohlen worden war. Nur die Erde selbst, die Höhlen und riesigen Felsen mussten an Ort und Stelle bleiben, so dass sie wohl gewählt für die Überlieferungen schienen. In jeder Kultur waren Darstellungen in der Art von Funken, heiligen Tropfen, Silben, Lichtkränzen, Regenbogen, Rituale mit hohen Kopfbedeckungen und Tänzen vorgekommen. Vielleicht wurden hier Gesänge und Erzählungen damit verbunden, die Verbindung zur Herkunft aufgerufen.

 

Marlan selbst hatte einen heiligen Ort gehütet, ganz im Norden, von wo sie nun aufgebrochen war. Sie wusste wohl, dass das Meer an Höhe zunimmt und jener Ort einige Zeit kein Ort der Menschen sein konnte. Einmal würde sich dort eine Kristallstadt erheben, ein Ort der Wissenden. Jetzt musste die Verankerung dafür gemacht werden, die Vorbereitung in den geistigen und vitalen Linien, welche für die gesamte Erde neu gewebt wurden. Daran nahmen Viele teil. Doch auch eine Menge anderer Gedanken-Netze war in Arbeit, die nicht alle der gemeinsamen Absicht dienten. Der Ort, an dem Marlan eine Weile zu Hause war, war für die Naturwesen gehalten worden.

Er beherbergte eine Reihe großer Bäume, in denen Rabenkrähen und Eulen wohnten. Da im Umland oft solche Bäume getötet wurden, der Lebensraum für Tiere und wilde Kräuter vergiftet wurde oder entwässert, sollte es eine Arche geben, von der aus sich die Samen wieder ausbreiten könnten, wenn der Mensch diese Art von Raub oder den Lebensraum aufgegeben hatte. Marlan hatte die Lebewesen eingeladen, sich anzusiedeln und sie versucht zu unterstützen.

Dazu gehörte auch das Befreien der geistigen Linien von schmerzvollen Erinnerungen und den Abdrücken der Seelenschichten, die den Weg nach Hause nicht gefunden hatten. Sie hatte lichtvolle Hüter und Landschaftsengel eingeladen, diesen Ort zu einem friedvollen und von Liebe strahlenden zu machen. Es gehörte eine ganze Zeit der Arbeit dazu, denn sie musste jeden Einzelnen der Baumdryaden und Wächter und die Bedürfnisse der Tiere kennenlernen, die Jahreszeiten und den Wind. Sie wurde zum Garten und zur Landschaft, und sie entfachte kleine Feuer, um eine rituelle Reinigung des Ortes inmitten der anderen Mitbewohner des Dorfes, welche den alten Lebensstil weiter verfolgten. Ihnen konnte man diese Absichten nicht näher bringen, ohne selbst ausgelacht zu werden oder unbewusste Hindernisse von ihrer Seite zu erzeugen.

 

Die Schatztexte werden an mehreren Orten hinterlegt. Folge ihren Spuren! Diese Orte werden verbunden sein, und die Anker einer neuen Art von Leben bilden. Die Worte kommen zu jenen, die bereit sind, und sie werden geleitet. Le Mazotin – der Ameisenhügel, so hieß das Haus. In der Tat gab es eine ganze Menge Ameisenvölker dort, der Boden sandig und trockener als in den tiefer gelegenen Gebieten. Vor tausenden von Jahren hatte das Ufer des Meeres bereits einmal an dieser Linie gelegen und kraftvolle Landschaft gebildet.

 

Auch die Ameisen sind für das Bilden einer Landschaft ein wichtiges Element. Die Linien, welche die Schwärme von Wildgänsen alljährlich in den Himmel ziehen, sind vitaler Natur. Alle diese Bewegungen machten etwas, auch wenn sie für den Menschen zumeist unsichtbar blieben. Wer weiß, ob auch das notwendig gewesen, denn es gab auch die Möglichkeit, Wissen zu missbrauchen, das heißt Kräfte zum Schaden anderer anzuwenden. So mancher konnte damit in der Vergangenheit andere Wesen versklaven und Reichtümer damit anhäufen. Doch deren Bahnen folgt die Kraft der Erde nicht mehr. Daher sind große Umwälzungen unvermeidlich. Erst einmal haben es noch gar nicht alle bemerkt.

 

Das konnte Marlan gut beobachten, denn die Leute, die ihr begegneten, waren einfach nur auf der Suche nach Essbarem und sie gingen dabei nicht nur freundliche Wege. Sie war froh, dass sie als eine Frau unterwegs war, denn Männer fühlten sich leicht von anderen Männern bedroht und wurden deshalb selbst aggressiv, dann bildeten sie Gruppen. Es war auf lange Sicht ratsam, denen allen aus dem Wege zu gehen.

 

Die Gemeinsamkeiten, die nun auf diese Weise errichtet wurden, hatten keine Grundlage, die zu etwas führen konnte. Am Rande des Meeres jedoch in der unangenehmen Witterung gab es nichts zu holen, was jene interessierte. Es gab immer wieder kleine Orte, in denen die Menschen sich noch mit Fischerei auskannten. Sie versteckten sich ebenfalls. Die Menschen aus der Stadt kannten sich einfach nicht aus in der Natur und sie sahen nicht. Sie sahen nichts, was sie kannten, daher erschien es ihnen leer. Ihnen erschienen die großen Container wichtiger, welche viele Jahre die Waren und die Nahrung brachten aus fernen Landen. Für die wenigen war das ein Glück, dass sie einfach nicht beachtet wurden. Noch ging es nicht um Leben und Tod. Doch man bewaffnete sich schon und das konnte keinen friedlichen Ausgang geben.

 

Es war auch ihr nicht ohne Bedauern gelungen, den Ort zu verlassen, den sie so in sich aufgenommen hatte. Immer wenn sie zu dem Ort wurde und der Ort in ihr lebte, dann konnte sie ihn gar nicht wirklich verlassen oder von ihm verlassen sein. Eben dies ist die Verankerung des Herzens, welches einst die gesamte Erde wieder umspannen würde. Sie hatten gehofft, dass mehr und mehr Menschen diesen Wunsch verspürten, ihre Herzen in der friedvollen Weise zu öffnen. Und sie wusste ja auch gar nicht, wie vielen es nun doch so ergangen war, denn das war keine Frage von Zeit. Die von denen sie es wusste, waren in alle Winde zerstreut und mit ihnen bildete sie ebenfalls ein feines Herzensnetz wie zarte Stickereien. 

Diese Netze zogen sich auch in die Vergangenheit und waren mittlerweile in vielen mühsamen Stunden von altem Schmerz gereinigt worden, mit Vergebung und Verstehen gestärkt worden. Es gab Lehren, deren Linien weit zurückreichten und die für die Weitergabe bestimmten Wissens aussuchten, wem sie sie gaben.

 

 Traum

 

Marlan erwachte von einem eindrucksvoll lebendigen Traum. Sie hatte eine Begegnung gehabt mit jemandem, der plötzlich vor ihrer Tür stand. Er sagte er hieße Schweizer, Löwe und ihr war, als kennten sie sich schon lange. Also Löwe der Vorname. Marlan sah sich verwirrt um, sie hatte ja gar keine Tür mehr und doch gab ihr der Traum Mut. Es war als habe sie eine Begleitung und eine Richtung bekommen. Sie hatte wohl immer wieder im Leben Menschen getroffen, die sie als ihrer Seelenfamilie zugehörig erkannte, und denen zu begegnen wohl unvermeidlich war. Sie hatten sich unterstützt, gehalten, gelernt.

Aber es gab auch viel alten Schmerz, der wieder aufwallte aus früheren Verwicklungen, und das war schwer zu ertragen, wenn man es nicht wusste. Sie wussten es lange nicht. Irgendwann häuften sich die Berichte von Menschen, denen es ebenso erging und die einen Sinn darin erkannten. Es hieß, dass in diesem Leben alles käme, um erlöst zu werden und die alten Strukturen endlich gehen könnten.

 

Nun, so fühlte sich das ganz und gar nicht an, viele Jahre nicht. Die Ihre Seelen-Menschen zerstreuten sich in alle Gegenden und es sah aus, als wäre alles gesagt und man würde sich vielleicht nicht wieder treffen. Zum Glück gab es auch Lehrer, die für diese Zeit gekommen waren und Marlan hatte verstanden, dass nicht alle in der gleichen Geschwindigkeit vergeben und bewältigen konnten, und auch unterschiedliche Schicksale mit jedem verbunden waren. Eben das war so komplex, dass es nicht durchschaubar war. Ein solcher Traum hatte Bedeutung, das war klar. Der Morgen dämmerte im Hinterland herauf und der Himmel erschien dort leicht grau. Vor ihr hatte das Meer Ebbe, der Sand zog sich weithin. Einige Vögel liefen am Muschelsaum. [3]

 

 

Nach einigen Wochen des Wanderns war Marlan erschöpft und die Füße schmerzten. Besonders das schwierige Terrain hatte ihre Kraft gefordert, in ständiger Anspannung zu sein. Nun war der Stock, den sie benutzte, bereits mit Kerben für jeden Tag übersät. Die Schuhe abgenutzt, die Kleider schmutzig und auch ihre Stimmung fühlte sich ähnlich an.

Alles hinterlässt Spuren, das Durchqueren der hässlichen Zonen hatte an ihr gezehrt, denn sie fühlte auch die Anwesenheit der nicht sichtbaren gequälten Seelen, welche solche Orte schon  bevölkerten, als Menschen dort arbeiteten. Manche Orte besaßen große Tore in andere Welten und damit sind nicht nur die  Kontinente gemeint, mit denen die großen Schiffe von den Häfen aufbrachen. Parallele Welten in graue Reiche taten sich auf. Wesen, die sich sonst nicht auf der Erde aufhalten konnten - sie wurden einmal diejenigen  genannt, die ihr Unwesen treiben – kamen dort zusammen, wo der Mensch es ihnen ermöglichte. Unmengen von Stahl und Eisen, Beton und Öl, von Sklaven und von Müll passierten diese Häfen. Das Unglück zog das Unglück an.

 

Ruhe

 

Nun war Marlan hindurch, diese hatte sie geschafft. Sie hatte eine weitere Landschaft erreicht, wo sich kleine Dörfer reihten. Die Namen auf den Schildern hatten eine anderen Klang. Nun wurde ihr Körper langsam. Ein leer erscheinendes Dorf durchquerte sie auf der Straße, Lejaune stand auf dem Ortsschild, und als sie die Kirche am Platz erreicht hatte, sank sie auf die Mauer der Umrandung, um sich auszuruhen. Es gab dort einen kleinen Brunnen aus Stein. Es war eine der alten Kirchen, aus Quadern von Stein errichtet und hunderte von Jahren mit Moos und Geschichte umringt. Grabsteine gab es, die auf die Gründer verwiesen, kaum noch lesbar. Marlan blickte sich wie immer aufmerksam um, zwei große Linden-Bäume gaben Schatten, Tauben flatterten auf.

 

Plötzlich  bemerkte sie eine Bewegung am Tor. Es war ein hohes, schweres zweiflügeliges Holztor am Haupteingang, welches sich sehr vorsichtig öffnete. Marlan machte eine Figur im Schatten aus, die ihr mit der Hand winkte, näher zu treten. Eine gewisse Erleichterung erfüllte die alte Frau, dass sie nun doch einmal Menschen erkannte, denen sie nicht aus dem Wege gehen musste. „Bon Jour“ sagte eine leise Stimme, sie erwiderte den Gruß lächelnd und trat langsam heran. Schon wurde sie am Ärmel gefasst und mir leichtem Drängen hereingezogen, dann das Tor wieder verschlossen. Der etwas jüngere Mann schaute ihr direkt in die Augen. Es war ein warmherziger und neugieriger Blick. Das war die wesentliche Sprache, auf die es ankam. Sie sah das Licht in seinen Augen. Doch auch die andere Sprache hatte sie einmal gelernt, als sie noch ein Kind gewesen war. So konnte sie antworten und sagte „merci. Danke“

Der Mann nickte freundlich, er begann zu erklären: „ Wissen Sie, es war nicht möglich, den Menschen zu helfen, die zuvor durch die Gegend zogen. Wir sind nur einige wenige, die von den Ereignissen nicht überrascht und verrückt geworden sind. Ich sehe, dass Sie eine von uns sind. „ Nun war es an ihr zu nicken. Viel brachte sie nicht heraus, das Reden war ihr gänzlich abhanden gekommen. „ Kommen Sie. Sie werden sicherlich einen guten Teller mit Suppe vertragen können.“ Der Mann ging ihr voraus. Er trug einen gestrickten Pullover und einen Zopf, der den Rücken hinunter reichte.

Marlan folgte ihm und sie erreichten im hinteren Raum, nachdem sie den Altar passiert hatten, der noch mit altmodischem Inventar geschmückt war, eine kleine Küche. „Melchor“ sagte der Mann und zeigte dabei mit dem Finger auf seine Brust. „Marlan“ sagte sie , legte die Hand flach über ihr Herz und verneigte sich leicht. Melchor kramte in einem Holzschrank, förderte eine braune Schüssel zutage und füllte diese mit Suppe aus dem großen Topf am Herd. Das sah aus wie grüne Kräuter, Wildpflanzen und Buchweizen. Etwas, dass noch zu finden war  in der Natur, wenn man es wusste. Marlan setzte sich dankbar und mit jedem Löffel, den sie nahm, fiel etwas von ihr ab: Der Mensch war nicht gern ohne Menschen. Eine Verbindung über große Entfernung aufrecht zu halten, war möglich. Doch es nährte nicht so sehr wie die Blicke, die wenigen Worte, die sie nun austauschen konnten.  Eine große schwarze Katze betrat lautlos den Raum und strich ihr um die Beine. „ Wer lebt hier noch?“ fragte Marlan, „und seid ihr sicher?“ Melchor erzählte:

 

„Nun, es wird wie überall gewesen sein. Die Leute dachten, das jüngste Gericht sei über sie herein gebrochen und dabei waren sie es selbst. Ihr wisst, die Vorstellungen werden sofort zu ihrer Wirklichkeit und es kann einen derart überwältigen. Besonders die Angst bewirkt das eigene Ende. Wir sind die, die man früher für verrückt erklärte. Wilde Theorien sagte man uns nach und wir taten auch viel dafür, diese zu verbreiten.“ Melchor, ein schmächtiger Mann mit leuchtenden Augen, blickte zu ihr herüber, während er einen Kessel mit Wasser füllte. “Es sollte ja die erreichen, welche uns von den falschen Propheten unterscheiden konnten. Jetzt sind mir nur die Kinder geblieben aus dem Dorf. Sie wussten von selbst, wie sich der Geist seine eigene Wahrheit erschafft. Fünf sind sie an der Zahl. Die Großen sind draußen und sammeln Nahrung.“

Marlan seufzte und streckte die Beine. Zugleich durchfluteten sie Kummer und die Freude, mit dem Geschenk von Menschlichkeit und heißem Tee bewirtet zu sein. Dieser Ort in seiner Einfachheit gab Geborgenheit, die sie zwar auch in der Natur erlebte, es war jedoch mehr als das. Alle Gegenstände bestanden hier aus natürlichem Material, so dass sie mit ihnen reden konnte. Sie waren mit Liebe hergestellt. Nichts anderes hatte Lebendigkeit. Melchor setzte sich wieder.

„Ich bin ein Architekt und hatte bei meiner Arbeit Wissen erhalten über die Kirchen und die heiligen Orte. Solche Plätze wie dieser waren bereits vor dem Kirchenbau heilig. Wenn die Naturkräfte eingebunden sind in den Glauben, wenn keine Bänne ausgebracht wurden oder diese aufgehoben wurden mit Hilfe geistiger Kraft, dann unterstützt der Ort und seine Hüter den Menschen.

Die Kinder mit ihrer Klarheit waren es, die dies bewirkten. Sie sprachen mit den Bäumen. Wir haben klares sauberes Wasser aus dem tiefen Brunnen. Vielleicht wäre es gut, Du könntest dich etwas reinigen, oder?“ Melchor brachte Marlan in eine winzige Zelle, wo ein enormer Bottich aus Ton stand, der mit Wasser gefüllt war. Sie schöpfte dies, nachdem er den Raum verlassen hatte, mit einer Holzkelle über den nackten Körper, schauderte und spürte doch sofort, wie es ihr neue Belebung brachte. Ein Büschel Minze verströmte seinen starken scharfen Geruch und sie rieb sich damit ab. „Mutter der Quelle“, sagte sie mit inneren Worten, „ ich danke Dir für dein Sein. Ich danke dir für deinen Segen.“ Die Quellnymphe war ganz hörbar um sie herum im Plätschern und Rinnen der Wasserströme, und im Innern der Frau erklangen Töne von Musik. Ja das war ihre Sprache, die sie kannte und als Antwort erkannte. Mitnichten waren all diese Wahrnehmungen Einbildung, wie man es ihr selbst in ihrer Jugend hatte einreden wollen.

Marlan freute sich auf die Kinder. Als sie in ein großes Tuch gewickelt wieder zum Vorschein kam, schaute ein kleineres Mädchen um die Ecke und rief: grande mere! Hallo Großmutter! Hier ist ein Rock. Wir weichen deine Kleider ein. Marlan erstrahlte vor Freude und wand um das nasse Haar ein Tuch. Neu bekleidet setzte sie sich in die Küche zurück, wo nun mehrere Körbe mit Pflanzen standen, die sortiert und aufgehängt wurden von dem Kind und seiner Begleiterin, einem jungen Mädchen mit kurzem dunklen Haar. Diese war mehr zurückhaltend und scheu, ein sehr zartes Wesen. Beide Namen wurden ihr von dem Kind genannt: Mira und Vervain.

Die Pflanzen dufteten und Mira erzählte unbekümmert, dass sie die Plätze kannten, wo alles wuchs, dass sie sogar noch einen Maisvorrat besaßen und eine Ziege eingefangen hatten, welche sie auf ihre Spaziergänge mitnahmen. Denn, wie Marlan nun erfuhr, es gab hinter der Kirche den ummauerten Hof mit dem Brunnen und einen kleinen Garten. Jedoch konnte es noch gefährlich werden, sich zu viel draußen aufzuhalten Zum großen Glück aller war schon Frühsommer, es war schon heiß. Melchor betrat nun den Raum mit einem kleinen, sehr kleinen Kind auf dem Arm! Marlan rief erstaunt aus: „Oh wer ist denn das?!“

Melchor lächelte, man sah wie glücklich es ihn machte, dieses kleine Geschöpf zu halten. Er war nun für das Kleine Mutter und Vater. „Wir haben ihn gefunden“, flüsterte er beinah. „Er lag eines Tages vor der Kirche.“ „Aber der Priester war schon fort, er hatte sich dem Wahn ergeben, er müsse nach Rom pilgern, um Gott gnädig zu stimmen, und er nahm eine Schar seiner Dorfbewohner mit. Wir wissen nicht, was aus ihnen wurde. Doch wir hier bekamen dieses Geschenk und die Ziege, die Milch für ihn gibt, fanden wir ebenfalls. Viele Tiere mussten den Tod finden, als sie nicht mehr gemolken wurden, denn sie waren darauf abgerichtet und litten schreckliche Schmerzen ohne die Menschen. Wir haben auch versucht, viele von ihnen zu befreien.“ Das Mädchen ging zu ihm hin und küsste den kleinen Jungen, der erfreut zu quietschen begann. Zum Abend trafen noch zwei Jungen ein, Ysa und Giano. Sie waren etwa 10 und sie waren hungrig. Die trockenen Maiskörner mussten gemahlen werden, anschließend flache Brote in einer Eisenpfanne gebacken. Das gemeinsame Essen verlief ruhig, diese Kinder waren sich ernsthaft bewusst, dass sie verantwortlich waren für jedes Wort und jeden Gedanken, den sie sprachen. Alle schliefen gemeinsam in einer Kammer auf einem Lager. Doch als die Jungen gingen, sprach Melchor zu Marlan, er möchte im Kirchenraum mit ihr Rat halten. Sie nahmen jeder eine Decke mit in den kühlen Saal.

 

Gefährten

 

„ Ich glaube, du bist eine der weisen Frauen, und ich möchte von dir vieles erfahren“, sagte er, als sie auf den harten Holzbänken  lehnten. „Ja.“ Marlan hatte einige Visionen erfahren und auch Weissagungen von anderen Völkern gehört, bevor die große Unordnung über die Erde gekommen war. Sie hatten es gewusst, doch natürlich gab es nicht für Alle die Möglichkeit, sich angemessen darauf vorzubereiten. Genauer gesagt, es gab sie einerseits nicht mehr, denn hätten sich  viele retten wollen, so hätten diese einfach nur die Hinweise der großen Erdmutter früher ernst nehmen müssen. Andererseits konnten immer noch alle, die dies jetzt erkannten, ihr Schicksal in die Hand nehmen und sich auf den Weg machen. Die Zeit zu predigen war vorüber, wenngleich nun eine Menge Menschen zum Beten zurückgefunden hatten, so verließen sie sich doch auf die alten Gedanken. Viele waren den Versprechungen der anderen Seite gefolgt, welche die Verluste fürchteten.

 „Ich habe gehört“ , begann Marlan „ dass wir, die wir diese schwierigen Jahre überleben wollen, uns zusammentun, aber doch in der Wildnis und nicht an Plätzen, wo andere Menschen sind. Auch sollten wir wandern und nicht zu lange an einem Ort verweilen. Dies erscheint dir sicherlich nicht leicht, denn einen Ort zu kennen gibt uns viele Vorteile. Ich fürchte jedoch, es mag an den Vergiftungen liegen, welche durch die Hinterlassenschaften der Zivilisation über uns liegen. Sie sind unsichtbar und richten viel Schaden an. Die Natur wird sich erholen. Auch ich habe einen sicheren Ort verlassen oben im Norden, wo ich die Bäume hütete.“ Sie blickte in sein Gesicht,  Melchor sah nachdenklich aus. „ Ich bin froh, nicht mehr allein zu sein“, fuhr sie fort. „Und dennoch muss ich wohl weiter wandern, wenn ich mich erholt habe. Denn mir obliegt eine besondere Aufgabe.

Es gibt einen Platz in den Bergen weit fort von hier, wo sich die Ältesten versammeln werden, um den Frieden mit der Erde zu erschaffen. Es ist eine Zeremonie, um den Bann, welcher einst auf die große Kraft der Mutter gelegt wurde, aufzuheben. Ich kenne ihn noch nicht, den Ort, und muss den Zeichen folgen. „Oh!“ rief Melchor, „ ich habe einen alten Freund in den anderen Bergen weiter östlich. Er ist ebenfalls ein weiser Mann und wir nannten ihn den Löwen. Es mag sein, dass Ihr dem gleichen Auftrag folgt. Nun, ich kann Dir ein wenig weiterhelfen, indem ich Dir die Kirchen aufzeichne, welche ich kenne auf dem Wege. “ Nun wusste Marlan, dass sie die  richtige Spur mit ihren Ahnungen erkannt hatte. “Doch ich selbst werde noch warten müssen, bis der kleine Mauro etwas gewachsen ist, es ist zu schwierig unterwegs”, bedauerte Melchor, dem ihre  Gesellschaft durchaus angenehm war. “Aber allein möchte ich dich auch nicht gehen lassen”. Melchor griff nach einigen der Gebetsbücher, die noch in ordentlicher Reihe hinter der Kirchenbank lagerten. Er suchte einige leere Seiten, welche er sodann heraus trennte, um mit Bleistift einige Linien und Namen darauf zu notieren. “Ich muss immer am atlantischen Ufer entlang.” erklärte Marlan. “Doch ich werde noch einige Tage verweilen, denn ich bin so froh, dass es euch gibt!”

 

So begaben sie sich endlich zur Ruhe, und verbrachten die nächsten Tage mit den täglichen Handlungen eines Haushaltes mitten im Ausnahmezustand. Marlan beobachtete die Kinder und wenn es sich ergab, erzählte sie nebenbei kleine Geschichten, in denen Tiere und sprechende Bäume vorkamen. Sie wiegte den kleinen Mauro auf ihrem Schoss und sang leise Lieder. Sie bemerkte die innere Abwesenheit von Vervain und dachte sich, dass es da ein schlimmes Erlebnis gegeben haben musste.

 

Überrascht war sie dann, als das Mädchen eines Tages kam und sie nach ihrer Wanderung befragte. “Ich hatte einen Traum, Großmutter!” Marlan sah, dass dieser Traum sie ganz aufgewühlt haben musste, sie wirkte auf einmal sehr lebhaft und Marlan nahm sich sofort die Zeit, mit ihr abseits in der Kirche zu sitzen. Sie strich ihr über den Rücken, immer wieder.

 

“ In meinem Traum bin ich auch gewandert! Ich zog über grüne Hügel und sah Berge in der Ferne! Es war so, - es war so wunderbar!” Ja, die Bewegung und ein fernes Ziel konnten sehr wohl Wunder bewirken, wenn es um das Ablegen schwerer Vergangenheit ging. Bisher hatten sie alle nicht davon gesprochen, was das eigentliche Ereignis betraf, das die Welt so in Unruhe gestürzt hatte. Es war zu ungeheuerlich, zu schwer begreiflich. “Würdest du gern mit mir gehen, Vervain?” Marlan stellte die Frage, doch wollte sie auch Melchor nicht von solch einer Entscheidung ausschließen. Er fühlte sich für jeden einzelnen verantwortlich.

Vervain war kein Kind und doch ein Kind. Es könnte für sie eine Zeit der Ausbildung werden, wenn alles gut ginge. “Ich würde mich freuen”, das sagte sie natürlich, “und wir müssen es gut mit Melchor besprechen, ob er auch einverstanden ist und ob er hier allein mit den Kleinen zurechtkommt.”Vervain nickte und blickte ihr in die Augen: “ Ich lasse sie nicht gern zurück!” “Ja, das weiß ich. Und du musst auch wissen, mein Weg ist weit und ich kann nicht sagen, was uns begegnet. Ich muss auf meine Intuition und Erfahrung vertrauen, es ist beides. Lasse mich einen Tag darüber in mich gehen und ich will sehen, was sich zeigt.” “Komm” -Marlan zeigte aus dem Fenster auf den Lindenbaum: “Wir machen uns einen beruhigenden Tee aus den Lindenblüten! Das wird uns beide stärken und für den Kleinen ist es auch gut! Vervain lachte fast und war schon zur Tür hinaus, um von den tief hängenden Zweigen die Blüten zu pflücken, welche von einem Summen der Bienen und Schwebfliegen umringt waren, deren Stimmen Marlan lange nicht mehr gehört hatte.


 Melchor


„Wie kommt es, dass du allein hierherkamst?“ fragte Marlan ihren Gastgeber während einer ruhigen Stunde am Abend. Die lebhaften Kinder waren sonst immer um ihre Aufmerksamkeit bemüht, auch die kleinen Jungen zeigten ständig, was sie gefunden hatten und spielten um sie herum. „ Ich, ach, Ich war immer so viel unterwegs gewesen durch meine Arbeiten. Ich bin ein Experte für die alten Gebäude und so wurde mein Rat im ganzen Land angefragt. Es kam nie dazu, dass ich mich mit einer Familie niederließ. Nun, und jetzt unter solchen Umständen! Es ist wie eine Familie!“ Es stellte sich heraus, dass Melchor auch viel gelesen hatte über die Geheimnisse, die in den Gebäuden verborgen waren in Form von Maßeinheiten und anderen verschlüsselten Botschaften. Die Zeiten waren immer so, dass es geheim gehalten werden musste.

 

Er berichtete ihr von einem Orden, der Wissen über Maria Magdalena gehütet hatte und dass sie weiter südlich im Frankreiche gelebt haben sollte. Und eben dort war auf ihrem Wege entlang des großen Meeres die ein oder andere Kapelle oder Grotte der Göttin geweiht. Nun folgte Marlan der Vergangenheit in die Zukunft. Sie hoffte, die Maria des Wissens würde sie leiten, damit sie nun die Zeiger neu einstellen konnten. Es war  nichts verkehrtes daran, den Heiligen aller Zeiten zu folgen, denn sie waren meist die Wahrheitsbewahrer und Verkünder gewesen, denen zu ihren Lebzeiten die wenigsten zugehört hatten. Erst im nach Hinein wurden sie verklärt für ihr Tun und ihre Worte, die ihnen oft genug gefährlich wurden.
 
Marlan sagte eines Morgens: „ Kinder, ich fühle mich immer noch so müde. Es fällt mir schwer, mich auf den Weg zu machen.“ Mira freute sich ein wenig, denn sie war traurig über die Aussicht gewesen, zugleich ihr große Freundin und die  neue Mutter zu verlieren. Sie rannte hin zu Marlan, schlang die Arme um ihren Bauch und drückte den kleinen Kopf an ihr Herz. Auch die Ältere nickte und schaute nachdenklich. Sie alle vermissten ihre Familien, es wurde über den Verlust nicht gesprochen. Doch die Gefühle kamen wieder, wenn ein solcher erneut erfahren werden sollte.  „ Aber“, nun ging die Rede weiter: „ Ich glaube, wir werden unser Wissen tauschen, solange wir Zeit haben. Lasst uns ein wenig Schule spielen, wie wäre das?“ Mira lief begeistert zu den beiden Jungen , die sich am liebsten draußen aufhielten,  diese waren allerdings nicht so erfreut. So richteten sie es ein, dass alle vier großen Kinder sich einmal am Tag in der Kirche sammelten, und zum Lesen üben mussten sie die Bibeln nehmen. Da gab es auch eine Menge Geschichten. Marlan wählte sie aus, und bemühte sich, andere Sprachen einzuflechten, denn diese fand sie wichtig. Sie hatte auch Geschichten zu erzählen, die die Entstehung der Erde  erklärten, wie es bei anderen Völkern gesehen wurde, damit ein weiteres Denken Einzug halten konnte. Einige dieser Mythen hatten mit Tieren zu tun, mit Mond und Ameise. Eine wichtige davon heißt:

 

Die fünfte Sonne 

 

Marlan begann: [2]“Vor langer, langer Zeit, als die Erde noch jung und das Weltall noch nicht fertig war, trafen sich vier mächtige Götter. Sie beschlossen, der Erde eine Sonne zu geben. Doch über die Farbe der Sonne konnten sie sich nicht einig werden. Der eine verlangte, dass sie blau, der andere, dass sie rot, der nächste , dass sie weiß und der letzte, dass sie schwarz scheinen solle. Schließlich wußten sie sich keinen anderen Rat, als den, dass jeder von ihnen seine Sonne schaffen und dieser auch seine Farbe geben sollte.” Die Kinder scharten sich nun gebannt um Marlan herum. “Als erster war Tlaloc an der Reihe, der blaue Regengott, der den südlichsten Zipfel des Himmelsgewölbes bewohnte. Er schuf die Sonne des Wassers, die leuchtete blau, und blau wurde auch die Erde, und es regnete und regnete. Nach einiger Zeit aber war so viel Wasser auf der Erde, dass selbst die blaue Sonne in den Wassern ertrank. Nur die Fische überlebten die große Flut. Nun meldete sich der Feuergott Xipe Totec vom östlichen Himmelsgewölbe. Er blickte eine Weile in die große Flut und liess nichts unversucht, dass seine Sonne, die rote Sonne des Feuers, allezeit leuchte. Aber die Erde begann unter den knisternden Flammen seiner Sonne zu brennen, und als die Flammen höher und höher schlugen, verbrannte in ihnen auch die rote Sonne. Nur die Vögel retteten sich aus dem großen Feuer. Nun schuf Quetzalcoatl, der weiße Gott des westlichen Himmelsgewölbes, seine Sonne. Und alles schien gut zu gehen, es gab weder Regen noch Hitze. Doch auf einmal kam ein Wind auf, der wurde stark und stärker und fegte schon bald alles

lebendige, und auch die weiße Sonne hinweg. Tezcatlipoca, der Gott des nördlichen Himmelsgewölbes, hatte den Wind angetrieben, um seine Sonne, die Sonne der Jaguare schaffen zu können. Doch kaum hatten deren schwarze Strahlen die Erde berührt, da stürzten aus allen Himmelsrichtungen Jaguare herbei, die würgten und töteten mit ihren scharfen Krallen alles Lebendige, die lauerten selbst der schwarzen Sonne auf und zerrissen sie mit ihren scharfen Krallen in tausend Stücke. So zog wieder Finsternis auf der Erde ein, und die Götter überlegten, wie sie die fünfte Sonne schaffen sollten."
 
 
“Diese Geschichte ist zwar merkwürdig,” sagte Melchor,  "aber sie stimmt genau mit der Forschung über die Erdzeitalter überein. Nur gab es damals angeblich noch gar keine Menschen, die dies erlebt und überliefert haben könnten!” Auch andere Dinge aus der Wissenschaft, und über die Zahlen wusste  Melchor , sie lernten sie nebenbei mit Erbsen und anderen Spielen. Sie erfanden Spiele. Es wuchs vieles wild, was die Bauern der Gegend zuvor angebaut hatten und auch einiges Wilde konnte gegessen werden. Sie lehrten sich alles, was sie darüber wussten und die Kinder, die hier aufgewachsen waren, waren die Besten.
 
Dann kam der Regen. Er hörte nicht mehr auf, und er war giftig. Dieser Regen kam aus der Wolkendecke, die so lange über ihnen die Sonne verdeckt hatte, und er machte alles krank. Die Natur hatte viel zu leiden und die Menschen würden nun erst wirklich in Bedrängnis kommen. „Alle drin bleiben!“ befahl Melchor. „Wir haben einen Schutz. Wir haben Wasser. Wir haben Wissen und sind nicht allein. Machen wir das Beste draus.“

Es war möglich, von dem kleinen Kirchturm aus über das Land zu blicken, durch ein winziges Guckloch schaute Melchor jeden Morgen heraus, um die Umgebung zu beobachten. Das tat er, bevor er das Feuer in der Glut des Herdes wieder entfachte, denn er wollte sicher sein, dass es nicht gesehen werden konnte. Doch nun erkannte er folgendes: Die Bäume wurden gelb und kümmerlich, die Vögel flogen nicht mehr. Es war ein grausamer Anblick und sein Herz wurde schwer. Es war nicht einfach, jetzt noch Mut und gute Stimmung zu verbreiten. Sie alle hatten soviel Brunnenwasser wie möglich abgefüllt, versucht, ein Dach über den Hof zu decken, die Ziege in die Kirche gebracht und vieles mehr.

Doch nun konnte man nur noch warten, und es ging Tage über Tage und die zermürbenden Sorgen begannen. Keiner konnte wissen, über welche Fläche sich nun dieser Regen erstreckte und ob es anderswo besser sein würde. Zumindest sollte man denken, dass dann alle Überlebenden dort hineilen würden und man hätte dadurch unangenehme Begegnungen, womöglich Überfälle zu erwarten. Das Gemecker der Ziege zehrte an den Nerven, denn sie verstand nun überhaupt nicht, warum sie in diesem düsteren Kirchenraum aushalten sollte und begann die Bibeln anzuknabbern. Die Katze fand noch immer Mäuse, denn alte Gebäude haben nun mal Mäuse.


Der Lichtblick war Mauro, der langsam zu krabbeln begonnen hatte und damit für Beschäftigung sorgte. Er konnte nun schon Maisbrei schlucken und wollte alles in seiner Nähe untersuchen. Auch er bekam eines der Bücher, das dünne Papier ließ sich so schön zerreißen.  Marlan hatte sich schon länger gewünscht, etwas zum Schreiben zu finden; mit Holzkohle konnte man zwar auf Wände zeichnen, aber sie hätte gern Aufzeichnungen gemacht, obwohl sie sie letztendlich nicht mitnehmen konnte, wenn sie hier irgendwann wieder herauskamen. Denn weg mussten sie nun alle, sobald es möglich war; diese schöne Landschaft war für einen Zeitraum nicht bewohnbar, den sie nicht absehen konnten.

Marlan nahm sich nun die Zeit, sich genauer in der Kirche umzuschauen und erfuhr von Melchor, dass es in einen Keller hinunter ging, wo die Steinsärge aus früheren Jahrhunderten standen. Er hatte den großen Schlüssel an sich genommen, damit die Kinder sich nicht dorthin verirrten. Die Truhe hinter dem Altar hatte er bereits geöffnet, es befanden sich die Stoffe und Tücher für verschiedene Feste darin, und diese hatten sie nun zum Zudecken ihrer Betten verwendet. So kam es, dass Mauro in den kostbarsten Geweben, von goldenen Fäden durchzogen, schlief, die es im Lande gab. Auch Kerzen waren da, die sie hüteten wie einen Schatz.

Melchor hatte sie an anderer Stelle versteckt, für den Fall, dass sie doch einmal ausgeraubt werden würden. Das grobe Gemäuer aus gewaltigen Steinen wies genügend Lücken auf für geheime Verstecke. Das Beste dabei waren die Kerzenanzünder gewesen, denn Feuer zu machen auf die Steinzeitart, das mussten sie erst einmal wieder lernen. Dafür brauchte man Feuerstein. So hatte er Gyan die Aufgabe des Feuerhüters übertragen, so dass möglichst selten einmal die Glut im Kamin erlosch. Es war ganz sinnvoll, jedem einen Bereich zu geben, für den er zuständig war, und der seinen Anlagen entsprach. Das Gemeinschaftsleben war ein Gerüst, um der Verwilderung vorzubeugen.

 

Ein Fund
 
Melchor dachte: Wir sollten alle zusammenbleiben. So wenig wir wissen über das, was da draußen vor sich geht, aber dass wir uns vertrauen und aufeinander verlassen können, das wissen wir und haben es geübt. Er hatte jetzt eine große Taufkerze entzündet und schloss die dicke Holztür zum Kellergewölbe auf. Marlan und Vervain drängten sich dicht hinter ihn, als sie die schmale Wendeltreppe im flackernden Licht vorsichtig hinunter stiegen. Da unten roch es muffig und es war eiskalt. Ein runder Raum mit einigen Nischen ließ sich erkennen, in denen steinerne Figuren standen. Deren Gesichter erschienen im Kerzenschein seltsam lebendig. Marlan fühlte eine Gänsehaut, so wie sie es oft verspürte, wenn die Seelen Verstorbener anwesend waren.

 

Vervains dünne Stimme hallte richtig, als sie ausrief: „Ay, ist das unheimlich!“ Melchor fasste sie sanft am Arm und drückte ihr die Kerze in die Hände: “ Schau mal, dass DU uns leuchten kannst, während wir uns umsehen, in Ordnung?“ Marlan sprach im Stillen ihre Mantras, bat die geistigen Lehrer um Schutz und Hilfe für jene Seelen, die nicht den Weg zum göttlichen Licht gefunden hatten. Diese brauchten gewiss einige Zeit, um zu begreifen, dass nun nach so langer Zeit im Dunkeln jemand gekommen war, der sie nicht verdammte. Zwar waren sich alle Religionen einig gewesen, dass das Leben nach dem sogenannten Tode weiter gehe, doch  wer in dem Glauben starb, dass er den Himmel nicht verdient hatte, der konnte ihn auch nicht
finden. Das war das Traurige an manchen späteren Lehrmeinungen, die Jesus vermutlich nicht im Sinne gehabt hatte, denn er wollte ja die Befreiung bringen. Es war also nicht verkehrt, Jesus und Maria zu bitten, diesen Seelen nun den Weg zu zeigen. Marlan sprach zu Vervain: „Es ist Maria Magdalena, die Du bitten kannst, bei dir zu sein, denn sie ist die Schützerin  der Frauen und  aller, die Leid erlebt haben. Du bist auf dem Wege, nun in den Kreis der wissenden Frauen aufgenommen zu werden.“ Dieser Gedanke war ganz plötzlich erschienen und sie wusste, dass es stimmte. In einem Gewölbe wie diesem war immer die Erdmutter selbst anwesend, und niemand anderen repräsentierte Maria Magdalena: Sie war die Erdmutter in menschlicher Gestalt, wie sie immer von allen Völkern in verschiedensten Formen geehrt worden war, denn sie gibt uns das Zuhause, aus ihr werden wir geboren. Den Raum als Geburtsort und nicht als Totenkammer zu verstehen war eine wesentliche Umordnung. Es hatte nichts damit zu tun, in ältere Zeiten zurückzufallen. Doch hier standen sie, die steinernen Särge, in denen die zwei Gründerfamilien der Kirche zur Ruhe gebettet waren. Das war so üblich gewesen. Gewöhnliche Leute waren natürlich draußen bestattet und hatten nicht immer Steine mit ihren Namen. All diese Gedanken halfen auch den Naturkräften, wieder ins Fließen zu kommen. Sie nehmen unsere Stimmung und Absicht wahr und folgen ihnen.
Melchor war unterdessen bereits dabei, die Wände zu untersuchen. Er wusste ja, dass alte Kirchenkammern so manche Überraschungen bergen konnten. Manche dieser Kirchen waren bereits vor mehr als tausend Jahren erbaut, und das Kellergewölbe der älteste Teil. Doch geheime Gänge waren hier nicht zu erwarten, das gab es in gebirgiger Landschaft. Da entdeckte er einen lockeren Stein. Das war merkwürdig. Oben drängten sich drei neugierige Kinder an der Tür, und er rief hinauf: „kann mal einer von Euch ein Brotmesser bringen?“ Ein besseres Werkzeug fiel ihm gerade nicht ein. Er stieg die Treppe halb herauf, und wartete. Ysa kam atemlos wieder herbei geflitzt, das große Sägemesser an sich gedrückt. Er traute sich tastend an der Wand entlang ein paar Stufen herunter. „Danke, mein Lieber“ sagte Melchor .“Möchtest Du bei der Schatzsuche dabei sein?“ Ysa nickte und spähte in den dunklen Raum hinein. Melchor nahm ihn bei der Hand und so versuchten sie nun gemeinsam, den großen Stein so zu lockern, dass man ihn herausziehen konnte. Das dauerte und dauerte. Marlan las sich durch die Inschriften und Jahreszahlen. Eine der Figuren war um einige hundert Jahre älter als die anderen. Es war sehr wahrscheinlich, dass zwischen den Jahren 1200 und 1800 einiges verändert worden war. Ächzend und murmelnd zog Melchor an dem Stein, rief dann: „ Achtung, Füße weg!“ und der Quader stürzte zu Boden. Nun kam Vervain mit der Kerze näher heran, doch das Loch war zu tief, um etwas zu sehen.
Melchor musste mit den Händen tasten und er wühlte sich mit der ganzen Armlänge nach hinten, wo Sand und Schutt herabgefallen waren. Er förderte einige Steine zum Vorschein. Dann gab es etwas Schwereres und wieder brauchte es eine Weile, bis er es geschafft hatte, den Gegenstand heranzuziehen. „Ich dachte doch, dass da etwas
verborgen wurde!“ sagte er aufgeregt. Ich glaube wir gehen ans Licht, um es anzuschauen!  Alle stürzten zu ihm hin, konnten aber nur ein staubiges klobiges steinähnliches Gebilde in seinen Händen erkennen. Er schritt die Treppe herauf, die anderen hinterher und man versammelte sich feierlich um den großen Küchentisch. Marlan nahm Mauro hoch, damit er nicht in den Keller stürzte. Es war eine Art Schatulle, in welche Kristalle eingelassen waren auf allen Seiten. Die Spitzen sahen heraus und daher fühlte sich das Ding so uneben an. Es musste gewiss etwas sehr heiliges darin sein! „Ähm, nun ja“, Melchor nahm eine feuchten Lappen und wischte herum. „Ich fürchte, mehr als ein paar alte Knochen werden wir darin nicht finden. Es war so, dass die Menschen Reliquien, also die Überreste von Heiligen, genauso anbeteten wie jene zu ihren Lebzeiten. Ein Ort, der solch eine Kostbarkeit beherbergte, wurde meist sehr berühmt und zog die Pilger an. Das war den Ortsansässigen natürlich sehr gelegen,aber manchmal wurden diese Reliquien auch gestohlen. „War dieses Dorf berühmt?“ fragte Melchor die Kinder und blickte in die Runde. Alle schüttelten die Köpfe, die Gesichter rot vor Spannung und blickten sich gegenseitig an. „Wisst ihr irgendwas?“ Marlan strich über die Oberfläche des Kastens, er war vielleicht zu schwer gewesen, ihn auf Reisen länger herumzutragen. Unter dem Dreck waren Bergkristall und Amethyste zum Vorschein gekommen und es sah nun ungeheuer edel aus. „ Dieses Dorf lag auf dem Wege,“ sagte sie langsam. „Auf dem Wege in die großen berühmten Städte mit ihren Kathedralen.“. „Das stimmt.“ Melchor sah sie aufrichtig anerkennend an. Diese Frau wusste die richtigen Schlüsse zu ziehen! Das war ihm noch nie so aufgefallen, dass andere hilfreich sein konnten bei seinen Gedankengängen. „Wisst Ihr denn nicht, dass die Kristalle reden?“ Sie schaute Melchor lächelnd an, denn solch ein Gedanke war ihm vermutlich auch noch nie gekommen. Er runzelte die Stirn. „Oh ja. Ich werde mich nachher in Stille  versenken mit ihnen , dann sehen wir es. Kristalle speichern Informationen. Es sollte wohl hier dem Schmuck dienen, doch genauso kann der Erbauer ein Wissender gewesen sein und für spätere Nachfolger etwas hinterlassen haben. Dem Einen mag es um Ruhm oder Gold gegangen sein, doch in seinem Gefolge gab es andere Interessen. Vielleicht Unaussprechliches sicher aufzubewahren. Es musste auf jemanden warten, der innere Bilder erkennen kann.“ Die Kinder lauschte gebannt ihren Worten und überschlugen sich anschließend in Vermutungen, was  nun wirklich in dem Kasten verborgen sein könnte. Es war erst einmal genug. Marlan ging noch einmal zum Kellereingang und horchte in sich hinein, ob sie etwas übersehen haben könnte. Sie setzte sich auf die oberste Stufe und dankte dem Hüter des Ortes, dass er sie eingelassen habe und ihnen dieses Geschenk ermöglichte, wofür es auch immer gut sein mochte. Sie wusste, dass sie hier nicht mehr lange bleiben konnten und betete zur Erdenmutter, der Regen möge bald enden, und um ein sicheres Geleit.
 
Marlan hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und den Kopf schwer in den Händen gehalten. Auch wenn sie selbst lange Zeit ohne Nahrung oder mit wenig auskommen konnte, so war das für die Kinder noch nicht der Fall. Sie würden so viel wie möglich, gleichzeitig so wenig wie möglich,  mitnehmen und sich auf eine lange Wanderung vorbereiten. Diese Entdeckung war gewiss kein Zufall und sie würden den Inhalt dieses Kastens heute abend in Ruhe in Augenschein nehmen. Sie hatte von ganzen Bergen gehört, in denen Kristalle ruhten und die eine besondere Strahlung aussendeten. Solche Plätze suchte sie, dort waren ebenfalls wie in Bibliotheken große Schätze an Information und auch Heilkräften gespeichert. Auch Städte hatten große Büchersammlungen, in denen sämtliche Entdeckungen der Menschen aufbewahrt wurden, doch bis man die richtige fand, war es viel schwieriger. Vermutlich würden sie bald als Heizmaterial dienen und für die Zukunft verloren sein. In ihrer Erinnerung befand sich manches, was sie dort gelernt hatte. Marlan hatte in ihrer Jugend die Kunst studiert und dadurch gesehen, welche Fülle an Botschaften Maler in ihre Bilder hinein malten. Daher war sie immer aufmerksam. Nun aber war sie von solcher Müdigkeit überwältigt, dass sie sich einfach, nachdem sie die Tür verschlossen hatte und den Schlüssel wieder im Kamin aufgehängt hatte, auf einer der schmalen harten Bänke ausstreckte.Das Geräusch des stetig fallenden Regens auf dem Metalldach tönte in ihren Ohren, bis es sie einhüllte.
 

Ein Plan


Als Marlan in den Schlaf sank, kam es ihr vor, als höre sie das Rauschen des Meeres und ein Traum stellte sich ein, ein Segel flatterte über ihr im Wind und ein ungeheures Gefühl von Freiheit durchflutete ihren Körper, ihr Sein. Als seien alle Umstände in weite Ferne gerückt, so nahm sie wahr, dies könnte eine Zukunftsvision sein.
 
Später am Abend rückte sie mit Melchor zusammen, um leise die Pläne für einen Aufbruch zu besprechen. Es war nicht abzusehen, was ihnen begegnen konnte, doch sie wollte es gern mit ihrer inneren Einstellung selektieren. Dies erklärte sie ihm: „ Es könnte sein, dass sich, weil ihre Menschen nicht mehr da sind, Hunde zusammen getan und in Rudeln umherschweifen. Wenn wir sie sehen, sollten wir uns richtig verhalten. Sie spüren die Gedanken. Es kommt auf einen inneren Machtkampf an, der nur mit Blicken und Gesten ausgetragen wird. Sende ich da liebevolle  Gedanken, so können die Hunde unsere Freunde werden. Tiere sehen immer die Bilder in unserer Vorstellung.“ „Hm“.brummte Melchor,“ das muss mir erst mal gelingen!“. „Deshalb üben wir das auch. Es ist eine Sache des Lernens.“ „Und wie ist es mit Menschen?“ „Tja. Eigentlich ähnlich. Doch sie sind oft in ihren eigenen Bildern so gefangen, dass sie sie für Realität halten.“ Melchor blickte auf: „ Das heißt, ich muss dann auf ihre Bilder eingehen und sie geschickt lenken, denn meine können sie gar nicht erkennen? Dann weiß ich schon, warum ich so wenig Lust auf Menschen hatte in den letzten Jahren. Es war einfach zu schwierig, als lebe man in verschiedenen Welten, als trügen sie nur Masken, die ein anderer angefertigt hat!“ Jetzt brach es aus ihm heraus. Marlan nickte. „Ja, so ging es einigen von uns. Die Aufrichtigkeit kann man sofort in
den Augen erkennen, und wer noch Schichten von unausgesprochenen Gefühlen darüber liegen hat, wirkt auch fast krank, die meisten unterdrückten die Wahrheit in sich mit Mitteln wie ständiger Arbeit, Alkohol, Süchten nach Kaufen...im Grunde hat das die Erde so belastet.“ „Oho, Madame. Und wenn das jetzt nicht mehr möglich ist, dann drehen die alle durch, oder. Es wäre gut, wir könnten unsern Schatz gut verstecken, auch wenn man für Gold und Silber gar nichts mehr zu essen kaufen kann!“ „Und jetzt? Sehen wir uns diesen Schatz an?“ Marlan erhob sich und holte die kleine Kiste aus dem Schrank. „Erst einmal herausfinden, wie so etwas sich öffnen lässt!“ Es gab metallene Scharniere und ein Schloss, für das natürlich kein Schlüssel vorhanden war. Das Ganze war eine Handschmiedearbeit und wohl richtig alt. Marlan ließ ihre Hände auf den Kristallen ruhen und schloss die Augen. Sie atmete einige Male tief, um in einen Zwischenzustand des Geistes zu sinken. Dann tasteten die Finger vorsichtig um die Erhebungen und blieben auf mehreren kleinen runden Topasen liegen. Es war wie ein Code, den der Verstand nicht begreifen konnte. In der Anzahl lag eine Mitteilung? Nein, es war als hielten ihre Hände eine Schale, dadurch formten sie eine Haltung, die Marlan an indische Fingerübungen erinnerten. Diese Haltung war eine Herzöffnungsgeste, bei der die Finger nach oben ausgestreckt waren. Da das Kästlein schwer war, sank es ihr nun nach unten, und sie merkte auf: Es war die Unterseite, auf die es ankam. Eine Weise, um die es bei solchen Lehren auch oft ging: Das Oben und das Unten, der Himmel und die Erde. Es war besser, dies durch den Körper zu erfahren als durch verfälschte Abhandlungen. So machten es die Yogis zu alten Zeiten. Sie nahmen sich alle Zeit der Welt und konnten sie sogar verlangsamen. „Hm hm.“ kam es von Melchor, der diese Geduld nicht aufbringen konnte. Doch beider Augen hatten sich nun auf den Boden des Behälters geheftet: Da war doch eine Ritze in dem dunklen Holz. Durch Hineinschieben einer flachen Klinge konnten sie den Spalt dehnen und die seit Jahrhunderten unangetasteten Scharniere bewegten sich. Und es zeigte sich ein Tuch, ausgebleicht und muffig, in dem ein kleines Buch eingewickelt war. Krümel lagen darum, so wie aus Myrrhe oder Kräutern. Staunend pustete Melchor den Atem aus. „Das ist echtes Pergament, glaube ich!“ „Ich traue mich kaum, es anzufassen!“ Nun war auch Marlan aufgeregt, denn wenn ein solches Buch geheim gehalten wurde, über so lange Zeit bewahrt, dann hatte es sicher etwas zu sagen. Melchor blätterte mit der Klinge des Messers und es ließen sich farbige Miniaturenbilder erkennen, goldene Verzierungen und mit Tusche geschriebene Worte in einer völlig unbekannten Schrift. „Oooooh.“ „Was ist das?“ Marlan blickt ihn an. „Tja. Also ich habe schon viele Inschriften gesehen und kann Latein, Griechisch, Armenisch erkennen und ein paar mehr. Aber im Moment weiß ich nichts. Mein alter Freund in den Bergen, der könnte es vielleicht lesen. Der hat solche alten Sprachen studiert.“ Beide beschlossen, dass sie das kostbare Stück ohne diesen schweren auffälligen Behälter einpacken würden. Marlan durchsuchte die Truhe des Pastors nach einem passenden neuen Tuch. Das Leinendeckchen umwickelte sie dann mit Bändern und es wurde in einen Sack mit trockenen Maiskörnern gesteckt, denn außer Nahrung konnten sie nicht viel tragen.
 
Und dann war es plötzlich so weit! Der Regen hatte aufgehört. Sie konnten es kaum glauben: die Wolkendecke, die Wochen und Wochen nach dem Ereignis über der Erde gelastet hatte, war der Helligkeit gewichen! Es war so unendlich gut, die Sonne zu erleben, dass dies die Stimmung sofort umschlagen ließ und nun Mut und Zuversicht aufkommen.
 
Am nächsten Morgen wurde viel diskutiert, es ging um die Ziege und dass man sie nicht da lassen könne, weil sie ja nur vergiftete Blätter fressen könne. Letztendlich sahen alle ein, dass es stimmte. Eine Entscheidung gegen das eigene Herz hätte bedeutet, seine aufrechte Haltung zu verdunkeln. Man würde eben sehr langsam vorankommen, ins Unbekannte aufbrechen, Mauro würde in einem Tuch auf dem Rücken getragen werden und leicht war es nicht, den Schutzraum zu verlassen. Daher gab Marlan noch die ein oder andere Lektion über die Angst und wie wir uns selbst das Leben mit ihr schwerer machen. Sie kannte Worte, mit denen man sich einen unsichtbaren Meister oder ein starkes Tier als Schützer herbeirufen könnte, wenn es einmal alles zu viel wurde.
 
Füße wurden umwickelt, Sandalen geschnürt, Kissen und Decken zu Taschen umgearbeitet. Der Kessel mit Wasser musste mit, und so einiges an Werkzeug, so dass die Kinder ein wenig stöhnten und sich einen Wagen wünschten. Aber dazu konnte man die Ziege wohl nicht bringen. Sie musste geführt werden. Marlan war in einer fast unwirklichen Verfassung, seit die Sonne wieder da war. War es möglich, dass ihre Strahlen anders schienen als zuvor? Es war solch eine Dichte, als sei eine warme Umarmung um sie. Marlan flocht den Mädchen Zöpfe, nachdem sich alle noch einmal gründlich mit dem kalten sauberen Wasser gereinigt hatten. Aus den Stoffen des Altars knüpften sie Kopftücher zum Sonnenschutz. Und Schritt für Schritt ging es nun in die neue alte Welt hinaus, die einige von ihnen noch nie gesehen hatten. Es war offensichtlich nicht mehr die Schönheit da, die sie im Frühjahr noch erfahren durften. Alle Pflanzen waren welk, es war schlammig, Tiere waren auch nicht zu sehen. Die Katze folgte ihnen. Katzen wussten immer, was richtig war.


 Die Suche


Marlan war nicht schnell. Sie hatte einen Rhythmus , in dem sie gehen gewohnt war, aber nach der Pause tat es erst einmal richtig weh. Sie sagte: „ Es kann sehr lange dauern, bis wir im Süden im Gebirge ankommen. Ob wir es bis zum Winter schaffen, falls das Wetter überhaupt so bleibt. Wenn es kalt wird, sollten wir besser dort sein. Die anderen Berge sind nicht an der Küste.“ Melchor zeichnete einen Strich in den Sand, der die Küste darstellen sollte und wiegte den Kopf. „Also es sind noch zwei große Städte gewesen, eine oben und eine unten, dazwischen waren lange Sandstrände. Wir gehen am Meer entlang, wie du sagtest.” “Ich rufe ein Pferd, wenn die Hunde mich fressen wollen!” sprach Gyan voller Überzeugung. Seine helle Stimme tönte laut in die Runde, denn es war still. Kein Pferd, noch ein Hund oder ein anderes Leben war auszumachen in der weiten offenen Landschaft, die so verdorrt erschien. Entweder sie waren ebenfalls verdorrt oder hatten sich anderswo auf die Suche nach Essen gemacht. Die kleine Gruppe lief am Weg, eine schmale Hauptstraße, und mehrmals kam sie an verlassenen Höfen vorüber.

Einmal machten sie in einer Jagdhütte aus Holz etwas abseits Rast über Nacht. Ein paar Tage später mussten sie sich um Wasser kümmern und näherten sich dem ein oder anderen Hof, um nach einem geschlossenen Brunnen Ausschau zu halten. Dabei entdeckte Melchor ein plattes Fahrrad, welches er sogleich als Lastfahrzeug mit sich führte. Einen Brunnen fanden sie dann auch, und als die Tiere getrunken hatten, waren sie sicher, dass das Wasser trinkbar sei. So konnten sie einen Vorrat davon auf das Fahrrad laden und wieder einige Tage weiter wandern. Es war nicht für alle ein Spaß. Ihr Leben hing davon ab und anhand der nach wie vor bestehenden Schilder konnten sie sehen, welche Entfernungen sie bis zu der großen Stadt sowie den Stränden weiter südlich zu bewältigen hatten.

Doch es hielt sie unweigerlich zusammen als eine Einheit, in der nicht viel geredet wurde, in der man sich mit der Zeit immer mehr innerlich verständigte. Denn, das war für manche eine Überraschung, das funktionierte so einfach. Jeder konnte die Bilder im Kopf der anderen sehen. Nun wäre das für viele Menschen nicht gerade eine angenehme Vorstellung, denn es erforderte Ehrlichkeit, und auch, nichts Böses im Schilde zu führen. In dieser Konstellation- wie wahr das Wort - eine kleine Sternenfamilie - hatte keiner bisher etwas zu verbergen. Vielmehr konnte Marlan, wenn sie eine Besorgnis wahrnahm, darauf reagieren und Trost spenden und in der Runde nach guten Ideen nachfragen.
 
Da fiel ihr der Traum wieder ein, den sie kürzlich gehabt hatte, und sie erzählte davon, wie schön es auf einem Segelboot sein könnte. Davon ließen sich die Kinder gern anstecken und  begannen davon zu träumen, leicht und schnell mit einem Boot das Ziel zu erreichen, von dem sie aber überhaupt keine Vorstellung hatten. Keines dieser Dorfkinder hatte die Berge jemals gesehen und auch am Meer waren sie nicht oft gewesen, obwohl es etwa zwanzig Meilen westlich ihrer Heimat gewesen war. Dafür hatte es keine Zeit in ihrem Leben gegeben. Man sah sich die Welt abends im Fernseher an, so war es früher. 

Anders war es mit Melchor. Marlan konnte seine Erinnerungen manchmal empfangen, so wie sie es mit anderen immer erlebt hatte. Er hatte wohl einen Urlaub verbracht mit einer hübschen Frau, die immer in seinem Gefühl auftauchte, wenn es um das Meer ging. Da zeigte sich, dass nichts einfach so verschwand. In der Bilderwelt der Seele ist es weiterhin lebendig. Sie hatte Abneigungen und Zuneigungen geprägt und so zog es auch ihn in einer Erinnerung an Liebe, Schönheit und Freude wieder zu dem Ort zurück.  Zudem kam ein leichter Wind von Westen auf, der ihnen half, denn die Sonne, so lange sie fort gewesen war, nun brannte sie ohne Unterlass und es gab wenig Schatten. “Melchi”, sagte sie am Nachmittag, als die Sonne etwas tiefer lag, und er schaute alarmiert, als habe sie ein Geheimnis erraten. “Darf ich dich so nennen?” “Hm”.

Ob das nun eine Zustimmung war oder nicht, sie fuhr fort:” Könntest Du deinem Freund, den du Löwe nennst, in Gedanken  ein Bild von dem Buch senden, dass wir gefunden haben, bitte? Er wird sehen, dass du es bist, und in etwa, wo du bist und möglicherweise hat er auch eine Nachricht zu überbringen. Da ihr euch vertraut, ist das nun ein guter  Weg. Denn wir sollten versuchen, ein paar Menschen von gleichen Volke sozusagen an einem Ort zu versammeln. Die wir nicht alle kennen. Mach es am Abend vor dem Einschlafen.” “Melchi” flüsterte die kleine Mira mit einem strahlenden Lächeln und schmiegte sich an seine Seite. “Darf ich dich so nennen?”

Sie hatte alles gehört, und es gefiel ihr. Marlan war nun doch ein wenig für die Geborgenheit zuständig, die zuvor der Raum des Hauses gegeben hatte. Nicht jeder war es gewohnt, so unter freiem Himmel zu leben. Es war wichtig, der Eingebung zu folgen und zugleich Beständigkeit wie ein Haus in sich zu entwickeln. Der Kirchenraum war das eigene Herz, und auch der Kreis der anderen Herzen. Marlan liebte es, den offenen Raum um sich zu haben, und war glücklich, des Nachts die Unmengen von Sternenlichtern wiederzusehen, die so lange verborgen gewesen waren. Alle konnten sich mit Mauro unterhalten, der auf Melchors Rücken wunderbar überall hinschauen konnte und langsam das Sprechen lernte. Allzu viel herumkrabbeln sollte er auf dem giftigen Boden aber nicht. Und lange gingen sie so. Sie mussten um die erste Stadt herum., bevor sie wirklich das Meer wieder sahen mit seinen großen Wellen, die es schafften, so viel zu klären.

 

Und dann hörte sie es als Erste: den Ruf einer Möwe in der Ferne. Vervain ging es eigentlich immer besser, je länger sie unterwegs waren. Sie wurde kräftiger und die Farbe kehrte in ihr Gesicht zurück. Sie wirkte ein wenig wilder und die Bewegungen freier. Marlan beobachtete dies mit Freude. Nun wusste sie, würden sie auch auf  Menschen treffen. „ Was tun wir nur mit unserer Ziegenfreundin?“ „Wenn die Leute sie sehen, nehmen sie sie und essen sie vielleicht!“ Das war in der Tat eine unangenehme Aussicht, aber sie mussten sich nun darauf einstellen, dass nicht immer alles einfach sein konnte. Und je näher sie an das Ufer heran kamen, umso mehr roch man auch die Seeluft. Doch man roch auch Rauch von Feuern.

Man sah von weitem, wie die Möwen an bestimmten Orten ihre Kreise drehten. Es gab eine Menge Anzeichen von Leben und das konnte doch auch eine gute Nachricht sein. Es war schon ein wenig wie ein Ankommen, und ihre Ankunft blieb auch nicht unbemerkt. Als sie endlich eines nachmittags über die Dünen blickten, zog sich dort ein endloser Strand entlang, an dem Grüppchen lagerten. Einige hatten richtige Wagenburgen gebaut, mit einer Unzahl von Sachen bestückt. Andre unterhielten kleine Feuer, offenbar herrschte hier gar kein Mangel. So als hätte sich noch reichlich Beute in der nahegelegenen Stadt gefunden für solche, die mutig genug waren, sich hineinzuwagen. Als Neuankömmlinge sahen sie wohl wenig gefährlich aus, und daher  wandten sich die ersten Blicke bereits wieder ab. Die Katze hatte auf dem Fahrrad ihren Platz gefunden und wirkte nun ziemlich erschreckt.

Ihre ganze Wandergruppe hielt sich oben am Rand des Strandes und hatte ein wenig Mühe, sich zu orientieren. Da war es das Beste, einfach mal zu sitzen, nicht zu nah bei irgendwem, aber auch so, dass sich alles gut überblicken ließ. Es fiel sofort auf, dass hier die Strandpflanzen gesünder aussahen als alles, was ihnen zuletzt begegnet war. Die Ziege machte sich sogleich daran, den Strandkohl abzukauen. Es schien nicht so, als wenn jemand Anspruch daran hätte, wer wusste schon, dass es sich um Nahrung handelte. So weit waren diese Städter nicht. Das was vorher für viele in großen Hallen gelagert hatte, würde für die nun wenigen noch lange reichen. Es waren eher junge Leute, Männer, die sportlich aussahen und sich wohl hier auch vorher schon auskannten. Wie man sehen konnte, war es möglich , Fisch zu fangen, und Marlan war sehr glücklich darüber, dass der Ozean dann nicht so giftig sein konnte, wie sie es auf dem Lande erlebt hatten. Er lebte noch. Mit Mauro auf dem Arm wanderte sie ein wenig umher, und stapfte durch den Sand zur Wasserkante. Der Kleine schrie und lachte über die Wellen, und Marlan fühlte sich ebenfalls so erleichtert, so unendlich erleichtert. Sie begrüßte im Stillen die Meeresgötter, hier fühlte sie sich zuhause. Das Gute daran, eine alte Frau zu sein, ist, dass niemand Angst vor alten Frauen hat. Marlan nickte freundlich dem ein oder anderen zu, besonders wenn sie andere Kinder sah. Diese Menschen hier nahmen ihr Leben in die Hand und dazu waren Menschen fähig. Ob es so bleiben würde, konnte man nicht absehen. Je länger eine Gruppe da war, umso vertrauter wurden die nächsten Nachbarn und man konnte wie üblich freundliche Kontakte knüpfen. Das tat allen auch erst mal gut.

Am Abend kauerte man sich in sein eigenes kleines Lager. Doch es war nicht, was sie für die Zukunft suchte, das war Marlan klar und sie hielt nach irgendetwas Ausschau, ohne zu wissen, was es war. Hin und Her gingen die Wellen, das tägliche Leben, Leute kamen und gingen ebenfalls in Wellen. Sie sprach mit Melchor und sagte: „Es ist gut, wenn wir uns umhören. Die Leute erzählen ihre Geschichten, und sind alle froh, wenn sie bleiben können. „ So spazierte sie mit Kindern zu den kleinen Feuern, bewunderte die Fische und sah zu, wie sie gebraten wurden. Sie gingen dorthin, wo Musik erklang. Manche sangen und hatten ihre Gitarren mitgebracht, so dass es bald wie ein Sommerlager aussah.
 
Und auf diese Weise erkannte sie nach einigen Tagen einen Gleichgesinnten. Ihre Augen trafen sich und es war ein Blitz, wie er geschehen konnte, wenn man sich gefiel. Der Mann hatte scharfe Augen, ein hagerer alter Mann mit wirrem Haar. Ja, und es war mehr als das. Er spielte auf einem Instrument herum, es klimperte und er machte einen wilden Eindruck. Marlan setzte sich einfach. „El carpintero.“ stellte sich der Wanderer vor, mit rauer Stimme. Neben ihm stand eine halbleere Flasche und Marlan sah, dass er dem Rotwein gern zusprach. Seine ehemals weiße Kleidung war völlig ergraut und fleckig. Doch all das tat seiner Würde keinen Abbruch. Er sah aus wie ein König der Landstraße, und dass er immer dieses freie Leben geführt hatte, hatte er  nun allen anderen voraus. Nach einem solchen Führer hatte sie unbewusst ausgeschaut. Sie erkundigte sich nach den Wegen, den Neuigkeiten, und stellte fest, dass der carpintero sich gut auskannte im Süden. Er hatte diese charmante Art der Ungebundenen, die eine Frau zu schätzen wussten, weil sie sich nie einfangen ließen.

 

Melchor war nicht so sehr begeistert von ihrer neuen Freundschaft. Er traute anderen nicht und hielt sich eher zurück. Es gab ab und an kleine Fischerboote zu sehen, mit denen Männer zusammen ausfuhren. Und eines Tages erzählte der Alte, der eigentlich gar nicht so alt war wie er aussah, es gebe ja nun auch eine ganze Reihe Yachthäfen weiter südlich, wo die Segelboote noch angetaut seien. Denn niemand wüsste, wohin er damit fahren solle.

Die Motorboote funktionierten eben nicht mehr wie alles, weil durch eine elektrische oder magnetische Entladung aus dem Kosmos etwas unerklärliches damit geschehen wäre. Da kein Radiosprecher mehr erklärte, was das wäre, wusste auch keiner wie. Da war es den meisten nicht geheuer, sich ins Unbekannte zu wagen. Marlan blickte ihm tief in die grünen Augen, dem Graubart, und es war wie ein dunkler unergründlicher Tunnel. Ja, sie kannte den Rausch, die Abgründe, die Einsamkeit, die Macht. Es schreckte sie nicht. Auch sie hatte manches Abenteuer hinter sich gelassen, es gab unausgesprochene  Vereinbarungen. Vielleicht kamen sie aus einer anderen Zeit, einem anderen Traum. Sie ging, um sich mit Melchor zu besprechen, dem sie sich verbunden fühlte wie in einem gemeinsamen Ziel, und sagte auch, es sei besser, bald von den vielen Menschen wegzukommen. Vervain hatte sich mit einigen Mädchen ihres Alters getroffen, sie standen in den Wellen und betrachteten heimlich die jungen Männer. Diese fühlten sich aufgerufen zu Angebereien und all das gefiel Marlan nicht so recht. Ja, es war ganz normal, aber hier war nichts normal und wer so tat, der würde vermutlich nicht weit kommen. Das war kein Badeurlaub. Die Kleinen gingen am Strand und sammelten Muscheln und da gab es auch nichts zu sagen. Das konnten sie weiter tun. Also weiter. 
 

Neuer Aufbruch


 “Kann er denn segeln?” fragte Marlan den neuen Begleiter, der sich einfach zu ihrem Lager begeben hatte und es sich gemütlich gemacht hatte. “ah oue, äm sisi. Carpintero fiel wohl erst die richtige Sprache nicht ein, da sich diese in ihm durcheinander verquirlten. “Ich habe nicht viel gesegelt, doch ich habe diese Boote gebaut. Ich kenne sie wie meine eigenen Hände. Jede Bewegung des Holzes kenne ich. “ Sie schaute unwillkürlich auf die schlanken braunen Finger und sah, wie sie Instrumente bauten und ihnen Klänge entlockten. “Ah! Warum möchte er mit in den Süden und die Berge gehen?”

Es wuchs sich nun zu einer Art Bewerbungsgespräch aus, doch im Grunde hatten sie ihm ja für seine Kenntnisse gar nichts zu bieten. “Ich kenne die Menschen.” War seine Antwort. Das war deutlich und sagte ihr, dass bei jenen nicht für immer solch freundlicher Frieden herrschen würde. Ein Erwachsener mehr, nun wie auch immer, könnte eine gute Idee sein. Sie sah Melchor an, die Jungen hatten sich gleich an den Straßenkönig gewandt und wollten von ihm Flöten gebaut haben. Er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Das gefiel ihr. Melchor nickte, auch ihm war es lieb, bald und schneller voranzukommen. In den Schatz hatten sie ihn nicht eingeweiht, den trug Marlan nun bei sich, denn die Säcke mit Mais waren leer und sie hoffte auch, wieder Essbares zu finden, ohne dass sie mit den Händlern zu tun haben musste. “Jungs”, sagte Carpintero: “Ihr braucht keine Flöten, sondern Speere zum Fische fangen!” “Wir gehen morgen los, am besten eher unauffällig, damit uns keiner folgt. Dann werden wir da weiter oben in den Gebüschen mal nach Stecken suchen. Die Flöten würden jedem verraten, wo ihr seid, das ist Blödsinn.” Der Mann brachte einen schnell zum Lachen und auch das tat ganz gut. Nun wurde ihnen wieder der Ernst der Lage etwas klarer. Doch die Erholung war auch notwendig gewesen, um die Spannung einmal loszuwerden. Und nun konnte man auch ganz leicht sehen, wo man lang musste.

An einem Tag sehr früh brachen sie auf, einer nach dem andern, bis es erst viel später auffiel, dass da nur noch dieser Sandwall war, mit dem sie sich nachts vor dem Wind geschützt hatten. Die Leute stapelten große Haufen ihres Mülls am Rande, den holte aber keiner mehr ab. Ausser dass es nun tatsächlich ein paar Hunde gab, die diesen noch nach stinkenden Fischresten durchwühlten. Unten konnte man besser laufen, wenn gerade Ebbe war. “Ich kämpfe nie” sagte Carpintero. Das sah Marlan als eine gute Eigenschaft. Er war trotzdem sehr eigenwillig und nicht zu durchschauen. So war das mit Kollegen, ein Schamane wusste sich unsichtbar zu machen. Beide Männer fühlten sich nicht als Anführer, es war eine Rolle, die sie nicht haben wollten. Melchor entspannte sich nun sogar, er hatte sich immer um Mauro gesorgt wie um seinen eigenen Sohn. Und als solchen stellte er ihn auch vor. Und sie brauchten auch gar keinen Anführer. Vielleicht galt das für größere Gruppen, aber so konnte jeder am besten mit seinen Qualitäten zur Geltung kommen.
 
 “Marlan”, Carpintero schlurfte neben ihr durch den Sand, “Du hast schon viel gesehen, eh? Du musst aber nicht immer alles sofort verstehen, weißt du. Ich sehe, du bist auf der Hut wie eine scheue Katze. Die nehmen  sich Zeit, aber sie sind auch gute Einschmeichler. “ Carpintero hatte sich mit der Katze angefreundet, welche sich über gelegentlichen Fisch äußerst zu befreunden wusste. Das Fahrrad mussten sie eintauschen, es war im Sand überhaupt nicht zu gebrauchen. Doch einer derer, die alles sammelten und Tauschgeschäfte machten, hatte es ihm in einer zähen Verhandlung gegen einen Sack Mehl eingetauscht. Auch die Ziege hatten sie vorher bereits abgegeben, doch nicht an jemanden zum Schlachten. Melchor legte großen Wert darauf, dem Besitzer zu erklären, wie sinnvoll eine Ziegenzucht für ihn werden würde, und dass es im Hinterland kaum noch lebende Tiere gab. Er würde hier wohl einen Ziegenbock bekommen, mit dem er dann eine Herde aufbauen konnte.

Da Ziegen so genügsam sind und alles fressen, war das eine gute Lösung. Mehr konnten sie nicht tun. Für Marlan war es etwas Neues, dass sich jemand mit ihr befasste. Sie hatte sich so an ihre Unsichtbarkeit gewöhnt, dass sie nun leicht unruhig wurde, es könnte auch umgekehrt sich jemand für ihr Inneres interessieren. Sie fühlte sich dadurch plötzlich wieder jung und unsicher. Sie trug das Buch auf der Innenseite ihrer Weste, und hoffte, dass es keinen Schaden nehmen würde. Wie auch immer, es würde nicht für jeden als Schatz erkennbar sein. Der Strand war so weit, dass ein paar Menschen ganz klein aussahen und schnell vorüber waren an den Rastenden. Diese wurden auch weniger mit Entfernung von der Stadt. Was sollte an einer Familie schon wichtig sein, jeder hatte mit sich zu tun.
 
Einige Tage später kam Melchor an ihre Seite und platzte mit der Neuigkeit heraus: “Du, das gibts doch nicht! Stell Dir vor, mein Freund hat im Traum zu mir was gesagt! Der, wo ich doch so viel an ihn gedacht hatte!” “AH ja, natürlich” “Nun, ich versteh bloß nicht, was es bedeuten soll!” Der Freund hatte ihm im Traume eine Blume gezeigt, und er kannte diese nicht. War das nun ein Hinweis auf einen Ort oder ein Heilmittel, auch Marlan konnte es erst einmal nicht einordnen. Sie sollte doch mal versuchen, beim Händler einen Bleistift zu besorgen. Und er sagte einen Namen, mit dem sie mehr anfangen konnte:”Wir sehen uns mit Ste Claire.” Melchor blickte fragend.

Er kenne keine Kirche mit dem Namen. Auch sie glaubte kaum, dass es hier Kirchen mit dem Namen der heiligen Clara gab. Darüber würde sie ihrerseits ein Weilchen rätseln. Es war gut insofern, dass sie selbst zur heiligen Clara sprechen konnte, eine weibliche geistige Kraft.

Die war eine Wissende gewesen. Marlan war keine Heilige, sie wusste: um wissend zu werden, hatte der Mensch auch durch düstere Zeiten zu lernen. Aufgrund dieser Erfahrungen eigener Verzweiflung und Trauer, doch auch Leidenschaft und Irrglauben hatte man später keinen Anlass, sich über andere zu stellen oder ihnen Wege zu predigen, die nicht an der Wurzel mit dem Mitfühlen begannen.

Die Clara hatte es so gemacht, dass sie eine Heilende geworden war, mit viel Opfertum. Das war ihre Zeit, sie war dem Eigensinn von Frauen nicht zugetan, und es war fast, als würden sie sich selbst dafür bestrafen. Doch sie hatte als erste Frau eine Schrift mit Ordensregeln verfasst. Jedenfalls hatte diese in Italien gelebt und Marlan konnte sich nicht vorstellen, dass dies ein Hinweis in diese Richtung war. Carpintero hatte sich die Katze um die Schultern gelegt und sang leise vor sich hin. Es gefiel Marlan immer besser, dass er selbst, wie eine Katze sanft, aber sehr selbstbestimmt seinen Tag vor sich ausrollte. So empfand sie das: ein Hineinwachsen erst in den kühlen Morgenstunden, dann zu einem heißen Mittag mit Ruhezeit, dann wieder das sanfte Ausklingen und immer die Himmel, die Landschaft selbst hatte wieder ihre Bewegung in sich aufgenommen, so wurden sie eins damit und wenn sie sich abends gemeinsam mit den Kindern in eine Nische kuschelte, so war sie froh, wenn er in der Nähe war.

 

Der Ort

 

So gingen sie. Bald sollten sie wieder eine Wasserquelle finden. Es war nicht sicher, offene Gewässer zu nutzen. Es mochte ein Vulkanausbruch gewesen sein, der so ungenießbaren Staub verursacht hatte. Marlan ging wieder einmal mit Melchor und fragte ihn ” Hat dein Freund etwas mit Assisi zu tun? Ist er ein Franziskaner?” “Er steht ihnen nahe, er ist ein Forscher alter Geschichten.” Marlan fiel ein, dass noch vor einigen Jahren dort eine ganze Reihe von Erdbeben eingetroffen waren, wo der Heilige Franziskus mit dem Wolf gesprochen hatte. Eine interessante Gegend, wo auch manche Geheimnisse verborgen waren. 1212 war auch lange her. Die Kirchengeschichte war ihr nicht sonderlich geläufig. Es ging um heute und morgen. Und eines Tages begannen sie Orte am Meeresstrand zu passieren, die Häfen und Promenaden aufwiesen, Orte, in denen sich Menschen aufhielten. Es war ein ziemliches Gewimmel, und fühlte sich für keinen der Wanderer angenehm an. Sie falteten sich innerlich zusammen, um nicht aufzufallen. Ein Ort nach dem anderen, doch es war noch nicht der, den Carpintero kannte. Wie sollten sie überhaupt an ein solches Boot herankommen, sie müssten es ja stehlen? Er sagte nichts dazu. An Trinkwasser waren sie durch die bewohnten Orte wieder herangekommen. Unzählige Yachten aller Größen lagen an den Stegen, die weit ins Meer hinausragten. Viele wohnten auf ihren Booten. Die Kinder staunten. Leute saßen da und angelten. Während sie weiter und weiter zogen, verließen sie sich jetzt auf den Älteren, der so genau zu wissen schien, was zu geschehen hatte. Es gab schöne Holzschiffe, es gab moderne Motoryachten riesigen Ausmaßes, die nur noch im Hafen zu gebrauchen waren. Sie durchquerten dieses Städtchen bis ganz zum Ende, und dort befand sich eine Art Werftgebäude. Einige alte Schuppen mit halbfertigen Booten, da war nichts los. Und hier machten sie Rast. Im Schatten eines halbgekippten Schiffchens saßen sie erschöpft, Carpintero sah sich um und durchsuchte die Halle. Der kleine Mauro war nicht zufrieden damit, jetzt wieder so viel herumgetragen zu werden, er hatte seine eigenen Füßchen entdeckt und rannte nun auf dem Hof umher. “Hola” hörten sie die Stimme weiter hinten und eine Antwort. Da schien ein Gespräch im Gang zu sein. Ein spanisches Gespräch. Melchor sah um die Ecke, schnappte sich den Kleinen und erkannte dann Carpintero, welcher den Arm um die Schulter eines anderen Mannes gelegt hatte, und angeregt auf ihn einredete. Sie kamen nun beide näher, und der Mann rief aus:”Ha. Das sind ja alles Kinder!” Er war ein sonnengebräunter Hüne, lachte über das ganze Gesicht und reichte Melchor die Hand:” Piedro. Bonjour.” Melchor umschrieb einen Halbkreis mit dem Arm und nannte ihrer aller Namen mit einer leichten Verbeugung zum Spaß.
 
Man setzte sich an einer Werkbank, wo erst einmal etwas zu essen aufgetischt wurde, es war ungeheuer phantastisch, solch eine Einladung nach all der Zeit. Dosen mit Tomaten, Fisch, Oliven… es war alles da! Fast war das schon wie ein Traum, und jeder genoss das unerwartete Mahl. Piedros Frau kam später mit noch mehr gekochten Nudeln herbei, nachdem sie von den Gästen erfahren hatte.  Sie waren ein ganz herzliches Paar, dass sich offenbar von dem Treiben im Hafen auch zurückgezogen hatte.

Carpintero stieß mit seinem Freund an, es gab sogar Wein. Ein Fest, welches noch einen geradezu unglaublichen Ausgang nahm. Nach einer Weile bat Carpintero die Erwachsenen zu sich, und sie schlenderten hinter ihm her zur Wasserkante, wo einige Boote im seichten schwarzen Becken angeleint waren. Ein Holzboot mit Kabine, Segelmast, eine schönes Deck zog die Blicke an. Und mehr noch war es Marlan, als habe sie eine Erscheinung. Auf diesem Schiff stand ein Name. So wie auf jedem Schiff das nun einmal üblich ist. SAINTE CLAIRE las sie fassungslos. Sie griff nach Melchor. “Er hat doch gar nichts davon gewusst!” flüsterte sie eindringlich. Sie blickte Carpintero lange ins Gesicht und er zwinkerte ihr zu, wie immer ganz selbstsicher und schmunzelnd. Marlan fühlte solche Hitze in sich auffluten, sie machte einen Schritt auf ihn zu und noch einen. Dann schlang sie die Arme um ihn, und flüsterte an sein Ohr: “Also ein Zauberer”. Der Mann war warm und sie spürte sein Herz schlagen, und ihres, und er sagte nichts, den Moment einfach annehmend.
 
“Nun wird mir manches klar”. sagte sie, schnell wieder loslassend,  nun wieder an Melchor gewandt. “Meine lieben Gäste”, ließ sich nun Piedro zu einer Ansprache vernehmen: “ Santa Clara bedeutet diejenige, die den Weg zeigt. Mir scheint, ihr könnt solch eine Hilfe gut gebrauchen. Seht, wir sind hier am richtigen Platz. Wir sind Schiffsausrüster gewesen und die Lager sind voll mit Konserven. Meine Frau und ich sind nicht mehr so gesund, dass wir uns auf ein Abenteuer einlassen. Aber morgen früh ist Unterricht im Segeln! Ohne das geht es nicht. “ Sie gingen alle zu den Kindern zurück, welche durch die Neuigkeit völlig überwältigt waren und auch von ihren vollen Bäuchen seit so vielen Tagen. Sie schrien aufgeregt herum, wurden albern und müde und die Tatsache, dass sie nun nicht mehr laufen mussten, machte sie so glücklich. Sie hatten nun einige arbeitsreiche Tage vor sich. Zum Schlafen mussten sie sich auf einige kleine Boote verteilen, die enge Kojen hatten. Für die Kinder war es großartig: ein Raum um sich, der Schutz gab. Als sie untergebracht waren, sah Marlan zu ihrem alten neuen Freund, der nickte ihr zu und nahm ihre Hand. Sie kletterten gemeinsam in einen rostigen Kutter. Die Koje war eng, und sie lagen lange ohne zu sprechen. Es war wie Ankommen mitten im ständigen Unterwegssein.


 Das Boot


Der nächste Tag begann bereits früh und geschäftig. Piedro hatte Verstärkung von seinen Söhnen bekommen, zwei junge Männer in blauen verwaschenen Arbeitsanzügen. Sie stapelten Kisten, beluden das Schiffchen, das für ca 10 Menschen Platz bot und überprüften die gesamten Leinen und Einrichtungen. Währenddessen saß Piedro mit Carpintero, den er Pinto nannte, und Melchor um eine große Karte am Tisch. Vervain hatte sich erstaunlicherweise zu ihnen gesellt, das interessierte sie.

 

Sie mussten lernen, dass es nach einem Abschnitt, den sie gefahrlos in einem Abstand von der Küste kreuzen konnten, ziemlich unruhige Gewässer gab, denn sie mussten die Bretagne umschiffen. Das war nicht ungefährlich. Es gab viel zu erklären und dann den Praxisunterricht am Boot, wo auch Mira und die Jungs sehr aufmerksam waren, denn Fehler durfte keiner machen, wenn darauf ankam. Melchor mit seiner Korrektheit hatte ein gutes Gespür für Räumlichkeit und studierte die Karten. Der Wind am Atlantik ist stark. Auch wenn es länger keine Unwetter gegeben hatte- alles war möglich. Er erklärte den Kompass, damit kannte er sich aus. “Wohin wollt Ihr denn eigentlich?” “Bis ans Ende der Welt.” brummte Pinto. Das würde wenigstens den südwestlichen Punkt in Portugal meinen, den man auf diesem Kontinent erreichen konnte. Gewiss hatten sie keine Weltumseglung vor wie seinerzeit Kolumbus. Und doch, und doch, bis auf die Inseln konnte man es schaffen, von wo derjenige vor mehr als 500 Jahren aufgebrochen war, die neue Welt zu entdecken, die in Wahrheit eine sehr alte Welt war. Die Erinnerung war manchmal ganz gut, wie sich die Ansicht von Wirklichkeit verändert hatte, wie sie sich immer verändert im Laufe von viel Zeit. Die Wahrheit war, sie wussten es alle noch nicht genau. Was konnte sie dort erwarten, wo sie noch heile Natur und unzerstörte Strukturen zu finden hofften?
 
Die Inseln. Pinto sprach gern von den Inseln. Maria, die Frau des Schiffseigners, holte Marlan und die Mädchen ins Haus. Sie sah, wie verwildert sie waren. Es hatte lange nur das Salzwasser gegeben, um sich zu waschen. Sie brachte ein Stück Seife und erhitzte Wasser in einem riesigen Topf. Marlan war es nicht leicht, etwas anzunehmen, das wie ein derartiger Luxus erschien in diesen Zeiten. Es half dabei, sich eine demütige Haltung vorzustellen, wie sie die heilige Klara vermutlich angestrebt hatte. Vielleicht hatte Marlan selbst in einer ihrer früheren Lebenslinien ein solches Armutsgelübde abgegeben und war noch immer nicht frei davon. Doch diese Gaben waren ein Segen für die jungen Mädchen, die, wie sie sehen konnte,  unter der liebevollen Aufmerksamkeit aufblühten. Aus einem Schrankkoffer mit hunderten von Kleidern holte Maria einige heraus, sie hatten alle das gleiche farbige Blumenmuster, und sie versuchten, passende Größen zu entdecken. Lustigerweise sahen sie nun aus wie eine Tanzgruppe in rotblau, und es gefiel Mira über alle Maßen, sie drehte sich und wendete sich und schmiegte sich an die beiden Frauen in ihren so verschiedenen Lebensaltern, mit denen sie nun auch äußerlich etwas verband. Als sie so duftend und frisch wieder aus dem Haus heraus traten, schallte ihnen der ein oder andere  bewundernde Ausruf entgegen. Mira mit den blonden Zöpfen, Vervain mit dunklen Locken, die nun auch länger waren, und dazu Marlan mit dem Silberhaar - sie waren ein hübsches Trio.
 
 
Einige Tage mussten sie üben. Sie fuhren hinaus, mit Piedro und den Söhnen, ohne Kinder. Dann kehrten sie müde zurück, mit einigen Fischen und angefüllt mit Sonne. Auch die Männer wuchsen so zu einem team zusammen, das sich verständigen
konnte. Melchor fiel auf, wie sehr er sich in seinem früheren Leben in Räumen eingeschlossen hatte. Hier gab es eine Weite, die ihm wohl Angst machen konnte. Die Furcht, das Unbekannte nicht kontrollieren zu können, hatte ihn zuvor klein und eng werden lassen. Jedoch wurde man selbst größer mit dem Raum, dem unbegrenzten und dadurch auch eher befähigt, mit ihm umzugehen. Die Tiefe unter sich zu wissen erfordert Mut. Umso mehr war ihm die Gemeinsamkeit der wenigen Menschen wichtig, ihre Erfahrung und ihre Ideen. Ein wenig Abenteuerlust hatte nun sogar ihn erfasst, der so vorsichtig alles zu planen gewohnt war.

Auch hatte sich Maria auf den kleinen Mauro gestürzt, den sie von vorn bis hinten verwöhnte, so dass Melchor sich ganz frei bewegen konnte. Marlan sprach mit ihm: sie wollte gern das Geheimnis mit Pinto teilen, wenn sie auf See waren. Es war nicht gut, Geheimnisse zu haben. Ein Buch, wie alt auch immer, war kein Grund, die menschliche Offenheit zu verlieren. Und dieser Mensch hatte ihnen vertraut, er war bereit den Weg zu teilen. Vielleicht nicht für immer, das war so seine Art, doch für immer wäre man sich nah. Erstarrte Formen von Liebe, von Miteinander: das war das, was dabei herausgekommen war, als die Menschen anderes in den Vordergrund stellten. Immer, überall.  Jedenfalls wusste sie nicht von Stämmen oder Gesellschaften, wo die Liebe wirklich frei war. Auch dort wurde ein Mythos von totaler Liebe erfunden, der  in den Tod führte, nur damit die Konvention, die Tradition und die Macht der Eltern, des Clans nicht gebrochen wurde. Womit und wann das wohl begonnen hatte? Marlan überließ sich wieder ihren schweifenden Gedanken, denn sie hatte es auch früher nicht erkannt. Sie liebte, ja, doch mit Angst. Und so war das Herz kleiner und kleiner geworden.

Wie viel Zeit auch noch blieb, es war nicht nötig, sie mit den Formen anderer zu verschwenden. Es war Zeit, das Neue einzuladen. Aber nun mussten sie wieder Abschied nehmen, und es flossen Tränen dabei. Die Katze hatte längst beschlossen, dass sie hier ihr neues Zuhause gefunden hatte. Gerade die Intensität der wenigen Tage und kaum Aussichten auf ein Wiedersehen machten es schwer. Es war nicht einmal möglich, den Wert des gegebenen zu erfassen geschweige denn zurückzugeben. Die außergewöhnliche Zeit hatte es ermöglicht, dass alle Menschen über sich hinaus wuchsen.
 
Das Meer
 
Es war soweit. Der Wind war an diesem Tag passend, der Vollmond vorüber. Nun hatte Marlan einen neuen Kalender begonnen, damit sie die Tage der Fahrt zählen konnte. Piedro sagte, es sei August. Sie müssen sich nun auf den Weg machen, um nicht in Herbststürme zu kommen, falls das Wetter noch so bliebe wie früher. Sie spannten die Segel, die Kinder standen an der Reling bis auf den Kleinen. Die Sonne brannte und man hatte noch ein Sonnendach angebracht. Und sie winkten, bis das Ufer ganz klein geworden, und auch ihr Bewegungsradius war nun klein. Allein und doch nicht allein. Es erforderte viel Disziplin, miteinander auszukommen und es war auch nicht angebracht, einfach mal ins Wasser zu springen aus Spaß. Hier gab es unbekannte Gefahren. Marlan saß lange am Deck und blickte in die Ferne.

 

Es war eine neue Form von Meditation mit offenen Augen. Der Wind war nicht nur jeden Tag anders, er änderte sich fortwährend. Sie fühlte, dass noch größere Veränderungen auf Erden kommen würden, und sie fühlte ein unbestimmtes Drängen, sich möglichst schnell an den richtigen Ort zu begeben. Sie hatten aus dem Lager Gasflaschen zum Kochen erhalten, so dass sie abends, wenn es kühler war, ein einfaches Mahl zubereiten konnte. Es war auch nötig, alles sauber zu halten. Zeit war nicht mehr existent. Ohne Begrenzung des Raumes verlor sich die normale Wahrnehmung. Und es schaukelte auch nicht wenig, Manche hatten mit Übelkeit zu tun. Am Abend spielte Pinto auf der Reisegitarre, und er ermunterte alle, mit ihm zu singen. Das war eine gute Sache, denn er sprach etwa fünf Sprachen, mehr oder weniger, und so lernten sie auf diese Weise und entspannten sich dabei. Er erzählte, wie er in Brasilien geboren wurde , und seine Eltern nach Frankreich auswanderten, als er 12 war. Dort konnte er sich von Anfang an nicht in die Gesellschaft oder den ihm zugedachten Platz einfinden. Seine portugiesischen Lieder sprachen von Wehmut und Sanftheit, und Marlan rollten manchmal die Tränen nur vom Zuhören.
 
Und dann sprach sie von der Erde, von den Prophezeiungen der indianischen Völker und der besonderen Zeit, in der sie jetzt lebten. Deshalb hatte sie eine Vorstellung, was zu tun war. „Die Erde ist auch wie ein Boot in einem Großen Meer des Universums,“ sagte sie. „Und weil die Crew nicht darauf geachtet hat, alles sauber zu halten und sich zu vertragen, ist sie vom Kurs abgekommen. Es könnte sein, dass wir noch einmal Erdbeben, Vulkanausbrüche und Orkane zu erwarten haben, und ich möchte mit euch in den Bergen sein, wo die Höhlen sind. Ich glaube sogar, dass die Vorfahren der heutigen Menschen eine solche Zeit so überlebt haben, nicht viele, aber genug, um viele zu werden.
 
Und eines Abends setzten sie sich um den Tisch und sie holte das Buch hervor. „Wir wissen nicht, wer dies geschrieben hat und können es nicht lesen. Doch jemand hielt es für wert, für Menschen in der heutigen Zeit überliefert zu werden.“ Alle, die es noch nicht gesehen hatten, staunten ehrfurchtsvoll das Buch an. Berühren durfte nur Melchor mit einem sauberen Werkzeug und er blätterte langsam die Seiten um, die durch einen Sehnen-Faden verknüpft waren. „Da, Tiere“ rief Mauro und es stimmte: In den winzigen Malereien waren kleine Esel, Vögel und Menschen in langen Gewändern abgebildet. „Es ist ein Buch für Kinder!“ meinte Mira, und Marlan lächelte.“Ja, da magst du wohl recht haben!“ „Weißt Du, früher konnten viele Leute die Schrift gar nicht lesen, so wie wir heute diese nicht mehr kennen. Deshalb erst war es möglich, dass einige wenige die Schrift benutzten, um Wahrheit und Wissen vor anderen geheim zu halten. Diese anderen aber hatten andere Wege, ihre Geheimnisse zu wahren...“ Sie lächelte Melchor an,“Zum Beispiel in Mauern und Zeichen, und auch in Höhlen, wo ihre Bilder bis zum heutigen Tage zu sehen sind.“ „Ach, es ist schon eine seltsame Zeit!

All diese Technik, die erfunden wurde, machte es ja möglich, dass wir davon wissen! Von den Höhlen und anderen weit entfernten Orten, den Völkerwanderungen und wie alt sie alle sind. Aber richtig verstanden wurde vieles dennoch nicht. Die Art zu denken war immer eingeschränkter geworden“ warf Melchor ein. „Darum gibt es noch die Lieder“ “Und die Steine, das waren die alten Bücher. An der spanischen Nordküste sind die Höhlen, stell Dir vor, das Zeitalter , aus dem die Malereien und andere Funde dort stammen, haben sie das Magdelenien genannt. Es war nach der Eiszeit, als sicher viel Wasser auftaute und das Meer anstieg.”
 
 „Ja, Esel! Wenn wir wieder an Land sind...“ Das war der weitaus praktischere Gedanke von Pinto. „Vielleicht sind die Leute in diesem Buch auch gewandert und wollten die Geschichte ihrer Familie erzählen, um anderen Rat zu geben!“ „Das wird die ursprüngliche Absicht von Büchern gewesen sein, genau!“ Pinto war bereits einmal dort gewesen, wo der camino de Santiago entlang führte, durch das Gebirge an der Küste Nordspaniens entlang, und man konnte mit Eseln wandern. „Schon wieder ein Heiliger!“, lächelte Marlan „Vielleicht wollen sie uns ja doch unbedingt führen!“ „Vom heiligen Pinto weiß ich aber nichts!“ zog sie ihn auf.

„Oho, dafür gibt es die heiligen Picos.

So heißen die höchsten Bergspitzen auf spanisch.“ Pinto ließ sich nie aus der Ruhe bringen. “Nun, dort wo die Urmenschen Europas ihre Bilder in die Höhlen gemalt habe, dort werden wir landen. Es ist die nächste Bergkette, in der wir ein sicheres Zuhause finden könnten. Denn, nun, diese Ursuppe auf der wir herumtreiben, ist es nicht!” Damit hatte er ein Ziel benannt und es wurde auf diese Weise akzeptiert. An manchen Tagen gab es keinen Wind. An anderen Tagen gab es zu viel Wind. In jedem Fall war es besser, in Sichtweite der Küste zu bleiben, die sich nach der Umschiffung der Bretagne schnurgerade in Richtung Süden zog. Das wussten sie. Und das war auch gut so, denn eines Tages begann der Kompass verrückt zu spielen. Es war einfach kein Norden mehr auszumachen. Die Nadel schwankte hin und her. Da sie sonst keinerlei Hinweise hatten, was auf der Welt vor sich ging, war das ein bedeutendes Ereignis. “Dios mio” stieß Pinto aus und starrte entsetzt auf den Kompass. Er sah zu Melchor, der hilflos den Kopf schüttelte. Zwar entkamen sie auf diese Weise den Städten oder was von ihnen übrig war. Sie konnten entlang der Küste nur dort ankommen, wo sie nicht an Felsen zerschellen würden. Es war auch so: jede Meile auf See sparte viel Zeit, die sie zu Fuss kosten würde. Es war auch nicht leicht, all die Vorräte und den Komfort zurückzulassen. “Aber”, Melchor wusste es : “ Weiter um die spanische Halbinsel herum zu schiffen schien zu lange zu brauchen. Es braut sich etwas zusammen. Das scheint mir verdächtig nach dem auszusehen, was ich über die Pole gelesen habe, die sich umkehren können. Das wird wirklich ein schlimmes Durcheinander anrichten. “ Wenn sie wenigstens wüssten, wo sie waren!

 

Nein, es half nichts, sie mussten sich auf das Ufer zu bewegen. Wie auch immer, es gab dort eine Pilgerweg über die Berge. Vielleicht waren dort viele Menschen, vielleicht auch nicht. Dort waren schon zu normalen Zeiten viele Leute unterwegs. Melchor raffte nach einem kurzen Nicken der anderen die Segel ein, so dass sie sich der Küste nähern konnten. Und es erwies sich als die richtige Entscheidung, sogar als großes Glück, denn andernfalls wären sie verloren gewesen.

 

So konnten sie sich einem Sandstrand annähern, wo sie dann mit einem kleinen Gummiboot alles, was sie zu tragen gedachten, aufladen und durch hüfthohes Wasser watend, an Land bringen konnten. Gyan brachte einen tiefen Seufzer heraus: “Aaaah. Endlich wieder fester Boden!” Es war nicht notwendig, die ganze Sorge auf die Kinder zu laden, aber doch bemerkten sie, dass die Erwachsenen es eilig hatten. Das Boot, man konnte es nur verankern. So schade, aber wer konnte es nun nutzen? Es war richtig ungewohnt, nach den Wochen wieder zu laufen. Mauro war nun schwerer geworden, aber allein kam er auch nicht voran. Marlan und Vervain zogen das Gummiboot mit kleiner Ladung durch das seichte Wasser bis zum Ende des Strandes. Und ja, hier war eine andere Landschaft. Es war grün. Sie mussten in die Berge! Man konnte sie sehen! An der Sonne sah man etwa, wo der Süden war. Aber es wurde immer düsterer! Sie wandten sich etwa östlich, wo ein Weg anstieg. Schnell ging es nicht. Eine müde Gruppe im Gänsemarsch bewältigte nur eine kurze Strecke im Gelände, bis alle erschöpft zwischen Steinen und Bäumen zum Liegen kamen. Nein, niemand anders hatte eine Erwartung wie sie, dass etwas schlimmes im Anzug war. Schäfer trieben ihre Herden auf den Heimweg, es wirkte so friedlich und Marlan rieb sich die Augen: war es wahr, dass sie seit Wochen und Wochen wie Flüchtlinge unterwegs waren, während hier das Leben einfach so weitergegangen war?  An Urlauber war man hier gewöhnt und beachtete sie gar nicht sehr.

 

Die Gegend war hügelig, Vervain raunte Marlan zu: “Siehst Du, es ist wie in meinem Traum!” War es eine absurde Idee oder waren sie einige der Wenigen, die es in eine der Nischen des bröckelnden Weltgefüges schaffen würden? Zum Glück war niemand da, der ihnen erzählte, das alles sei eine Wahnidee. Eine Gegend wie diese war auf eine Infrastruktur nicht angewiesen, die nun zum Erliegen gekommen war in Teilen Europas. Der camino lag im Hintergrund, ein weltberühmter Pilgerpfad, und er war sogar ausgeschildert mit dem Zeichen einer blauen Muschel. Diese hiess Jakobsmuschel, und dieses war der Jakobsweg, oder camino de Santiago auf spanisch. Als die erste Muschel an einem Holzpfahl auftauchte, erkannte Pinto sie sofort. Er war so erleichtert, endlich einen Hinweis zu finden, wo in etwa sie sein könnten. Die Nacht verbrachten sie in der Ruine eines Stalles. Und sie fanden Quellen, Bächlein, Holz. Eines der Kinder trug den Kessel, einer der wichtigsten Gegenstände. Kein Wunder, dass auch Kessel einst als heiliger und magisches Werkzeug galten. Es war nicht ihre Absicht, nach Santiago de Compostela zu gelangen, wo der Pfad der Muschel hinführte. Aber er führte durch die Berge und an den Höhlen vorüber, dort wollten sie hin. Dem Weg selbst sprachen die Menschen seit Jahrhunderten eine gewisse Kraft zu und daran konnte etwas sein, dachte Marlan.

 

Dunkelheit


Mit ihrem Gespür für Kraftlinien hatte sie Bilder von einer Drachenlinie, die gewiss schon vor dem Leben des heiligen Jakob diesen Bergketten zugrunde lag. Sie gingen nun in die Richtung von Elizondo, wie sie einem Schild entnommen hatten, damit sie einer großen Stadt an der Küste ausweichen konnten. Als die kleine Gruppe einem weiteren Bauern begegnete, sprach Pinto diesen freundlich an und erkundigte sich nach Neuigkeiten. Er wollte einfach mal hören, ob viele Fremde durchgekommen waren und was hier bekannt war vom Zustand der Welt. Der Mann war ebenfalls freundlich, er zuckte die Schultern und sagte ein Sprichwort, in etwa: Den Lauf der Welt hält niemand auf. Das war die Haltung zu allen Zeiten, dass man es eben nehmen müsse wie es kommt. Von den üblichen Touristen und Pilgern waren in diesem Jahr viele nicht erschienen. Sie erzählten dem Mann von den zerstörten Städten und dass die Menschen nun ganz anderes im Sinn hätten als Urlaub zu machen.

Der Bauer gab ihnen noch einen Becher Ziegenmilch für Mauro, der schnell die Herzen erwärmte mit seinem Lächeln. Man winkte zum Abschied, es war gut. Es ging bergauf, es ging langsam. Die mitgenommenen Vorräte neigten sich zum Ende. Es war heiß. Es war sehr heiß. Sie mussten lange Pausen einlegen. Auch die Füße schmerzten, niemand von ihnen hatte Schuhe für dieses Gelände. Zum Glück floss Wasser von den Bergen. Und dann wurde es dunkel. Es wurde jede Nacht dunkel, doch dies war schon anders. Es wurde nicht wieder richtig hell. Marlan lehnte an einem Felsen. Es wurde kühler ohne die Sonne. Sie hatte davon gehört: es konnte einige Tage Dunkelheit geben, wegen diesen Polen und dem Magnetismus. Der Kompass hatte es angekündigt und deshalb hatten sie auf See nicht bleiben können. . “Es wird wieder hell!” “Doch in diesen Stunden bleiben wir einfach zusammen in der Stille und warten”, sagte sie zu den Kindern. “Kommt, wir legen uns in einen Kreis.” Sie legten sich so, dass alle Köpfe dicht beieinander waren und die Füße nach außen zeigten. So konnte man sich ansehen, die Kinder kamen immer zwischen zwei Erwachsene, zu denen sie Vervain nun langsam dazu zählten. Mauro schlief ein, denn es war ja dunkel. Und dann begann Marlan, nachdem eine lange Zeit gar nichts geschehen war, mit dem Sprechen. “Kinder, ich fühle mich so, als wenn mich eine wohlwollende Kraft durch mich fließt. Sie sagen, dass wir keine Angst haben müssen.”

Marlan war in einen Zustand der erhöhten Aufmerksamkeit gesunken, wie sie es in ihren früheren Meditationen gelernt hatte.   “Wir sind die Sonnenalben. Eure Freunde, die Euch begleiten und geleiten.” Die Menschen fassten sich an den Händen, um sich ihre eigene Präsenz zu bestätigen. Das war alles schon etwas merkwürdig. Doch die Erde unter ihnen war stabil und warm. Und nach und nach übermittelte Marlan die Sätze der Sonnenalben, und jeder einzelne wiederholte immer wieder den ein oder anderen für sich, denn sie waren nicht einfach zu behalten und noch schwieriger zu verstehen. Es war nötig, etwas länger darüber nachzudenken. Dies alles ging sehr langsam, und Marlan blieb auch nicht die ganze Zeit in dieser Trance. Zwischendurch schliefen die Kinder ein, sie wurde ebenfalls sehr müde.
 
 Luzon

 Das Lichtland ist der Ort von überall. Wir sind im Kreis der Geburten durch Lichtschichten hindurch. Jeder ist vielzahlig vorhanden. Ihr seid und wir sind mehr als gleichzeitig vielstrahlige liebende Seelen aus dem Urstrom. Zwischen hier und dort ist nichts.
 
Diesen Satz verstanden manche von ihnen direkt persönlich. Er machte ihnen Mut und betonte ihren eigenen Zusammenhalt als Gruppe. Erst jetzt merkten sie richtig, wie viel sie einander mittlerweile bedeuteten und dass sie sich Halt geben konnten. Da ihnen das Licht genommen war, schien es ihnen nun innerlich den Weg. Ganz verstehen konnten sie die rätselhaften Andeutungen nicht alle. Aber so ein Wort wie Urstrom strahlte einfach aus, dass man Vertrauen fassen konnte. Melchor sprach zwischendurch immer ein paar Worte: ” Ach, so muss das früher gewesen sein, als heilige Worte empfangen wurden und später in heilige Bücher aufgeschrieben.” “Da waren die Menschen in ähnlich umwälzende Erfahrungen geraten, die die ganze bekannte Welt umfassten. “ “La Luz heißt die Licht auf spanisch” brummte Pinto aus der andere Seite des Kreises. “Viele Namen beruhen noch heute auf den alten Worten” Also ganz logisch, dass Luzon der Name eines Sonnenalben ist, eine Art Lichtmensch vielleicht?

Einer von Sonnen-Stamm, wie ersie selbst sagt. “Mann oder Frau?” “Ach, das weiß man doch bei Engeln und all diesen Wesen nicht.” Marlan murmelte schläfrig: “Wir sagen Die Sonne und andere sagen Der Sonne und Der Meer. Es gibt immer beides.” Marlan träumte davon, eine neue Art von Sprache zu gründen, in der das alles einfließen konnte. Nun, wer weiß, vielleicht wurde es möglich, wenn sie diese unvergleichliche Art von Abenteuer überlebten. Sie hoffte, dass die klugen Wesen auch etwas darüber sagen könnten, wo und wie sie dies fertig bringen konnten. Es dauerte. Eine Vorstellung, wie viele Stunden oder Tage sie im Dunkeln lagen, hatten sie am Ende nicht mehr. Aber sie hatten bereits mehrere Rätselsätze von den Sonnenwesen in ihrem Gedächtnis aufgenommen. Diese Sätze konnte man sich gut einprägen.
 
Aaron

Das Hin  und Her von Einigkeit erzeugt ebensolche. Ins Buch der Geschichte könnt Ihr sie senden, um es neu zu schreiben. Nichts ist vorbei, bis Du den Strahl lenkst.
 

 Immer wieder erzählten sie sich gegenseitig diese kurzen Sätze, lachten sogar mal darüber, und hatten Ideen, dass diese wie Gedichte oder auswendig gelernte Gebete auch als Schlüssel wirken. Denn solche Gedichte erzeugten meist Bilder im Kopf, durch einzelne Worte schon entstand eine innere Landschaft und es machte große Freude. Die Kinder begannen dann, ihre Erinnerungen auch in Sätzen zu formulieren. Die Landschaft, in der sie ihre ersten Lebensjahre verbracht hatten. Die Ziegen. Das Boot. Ein Brunnen. Es gab das, was immer bleiben würde. “Aber, “ Pinto überlegte lange, “Das ist nicht so einfach zu übersetzen. In jeder Sprache gibt es einen Verlust von dieser Mehrdeutigkeit, ich meine es könnte anders verstanden werden. Vermutlich war das immer schon ein Problem mit solchen Weisheiten.”
 
Metatron
 
Die alte und die neue Zeit werden verbunden. Im Kristall ist jedes Jetzt lebendig. Dieses Tor ist die Rezeption für den Palast mit den unendlichen Räumen. Um welchen Schlüssel wirst du bitten?
 
Wenn Mauro unruhig wurde, durfte er in dem Raum der Mitte ihres Kreises umherkrabbeln. Sie alle tasteten auch nach Wasser, welches dort gelagert war. Ausserhalb sich zu bewegen war zu unsicher, denn es war richtig dunkel: keine Sterne und  kein Mond waren zu sehen.

Auch war die Orientierung aufgrund der magnetischen Veränderung vorübergehend gestört, im Körper gibt es auch so etwas wie eine Kompass, der perfekt an die Erde angepasst ist und sich nun neu einstellen musste. “So muss es in den Höhlen zu alter Zeit gewiss auch gewesen sein.” flüsterte Vervain. Die Dunkelheit schärfte das Vorstellungsvermögen. Es waren auch keine Vögel zu hören. “Hoffentlich dauert es nicht zu lange, so dass die Bäume und die Tiere überleben. Ohne Sonnenlicht sind alle verloren.” “Aber”- hörte man Marlan: ”Wir sind jetzt der Sonnen-Clan. Wir sind verbunden durch ein einzigartiges Ereignis. Und die Geschichte davon erzählen wir weiter für alle, die nach uns kommen. So ist es immer gewesen. Erinnert ihr euch an die fünfte Sonne? Jetzt haben wir eine Ahnung davon, was die Alten damals zu dieser Interpretation bewegte”

Der Kreis bildete sich immer wieder um, verschmolz manchmal zu einem wirren Knäuel aus Körpern, die sich wärmten und berührten, und niemand fühlte sich allein. Für einige von ihnen, besonders Melchor, war dies ungeheuer bewegend. Ihm liefen die Tränen dann, nicht weil er traurig war, sondern glücklich. All das war absurd, in solch einer verrückten Situation gefangen zu sein und dieses Glücksgefühl. Es war schon so, dass er eine solche Nähe sein ganzes Leben lang vermisst hatte. In seinem Zuhause als Kind war es nicht so gewesen. Dennoch oder deswegen hatte er sich niemals gewagt, sie zu bekommen. Die Dunkelheit machte dies erst möglich. Es war wie ein Nest.
 
Es kam ihnen allen nichts mehr wirklich merkwürdig vor, denn das Gefühl dafür, was normal ist, war ihnen schon im Laufe der Zeit abhanden gekommen. Normal ist, was ist. Und Tatsache in diesen Umständen ist, dass Zeit nicht mehr in der alten Weise wahrzunehmen ist. Die Werkzeuge müßten also angepasst werden. “Wenn,”Pintos brummige Stimme hörte man am weitesten: “Wenn die Jahreszeiten bleiben, dann könnten wir hier bald Kastanien sammeln. Diese Gegend ist dafür bekannt. Dann haben wir es nicht mehr weit zu den Höhlen, wo wir überwintern oder vielleicht lange bleiben. “
 
Onaida
 
Den Reichtum der Arten erwarten den, der sich eröffnet einer Vermehrung von Liebesreichweiten. Wir vermögen das Wasser zu wandeln.
 
 
“Vielleicht treffen wir dort noch andere Menschen!” rief Gyan. “Würden sie uns fortjagen oder was schlimmes tun?” Das war eine gute Frage, und Marlan überlegte lange. “Also, weißt du, alle Menschen scheinen ja gerade das gleiche zu erleben wie wir. Wie ginge es euch, wenn ihr  nach diesen Tagen jemanden sehen würdet?” “Ich würde mich freuen!” sagte Mira leise. Und so ging es allen: Überhaupt wieder sehen zu können, darauf warteten sie sehnsüchtig. Und alles was sie dann sehen könnten, mochte ihnen kostbar erscheinen, ein Wunder: dass es existierte. So würden sie auf andere Menschen zugehen und sie freundlich empfangen.


 Bücher


“Früher wurden die heiligen Bücher von den Herrschern aufbewahrt. Die Märchen aber, die Geschichten, die in den Familien, am Feuer sitzend, erzählt wurden, haben das wahre Wissen bewahrt. Und es hat sich bis heute erhalten, eine unvorstellbar lange Zeit. Es wurde in Theatern aufgeführt. Es ist Wissen über heilige und heilende Pflanzen darin, und über Hell und Dunkel gibt es sehr viele Geschichten. Auch da war es offenbar schon einmal geschehen, dass die Sonne gestohlen wurde, nun, so stellte man sich das vor. Ein anderer Gott hatte sie in der Erde versteckt, und nur durch die Reise tapferer Menschen und Verhandlungen wurde sie wieder an den Himmel zurückgebracht. Da gab es dann die Abmachung, dass Tag und Nacht sich die Zeit am Himmel aufteilen. Und das war eine sehr kluge Idee! Wir wissen heute, dass es auf der anderen Seite der Erdkugel Nacht ist, während wir hier Tag haben. Ich meine, hm. Heute genau wissen wir es allerdings nicht, denn dann würden sie ja jetzt keine Nacht erleben! Schlimmer als wir wären sie dran, wenn alles verbrennt!”
 
Das kam von Pinto, der nämlich an seine alte Heimat in Südamerika dachte, von wo das Märchen von der fünften Sonne stammte. Und er wunderte sich, ob in den letzten hundert Jahren etwa die Verteilung der Pflanzen und Menschen und Tiere, so dass alles durcheinander geraten war auf den Kontinenten, womöglich einem Plan gefolgt war, der das Überleben sicherer machte.

Wenn sich das Klima ändert, ist es gut, auch Bäume zu haben, die mehr Hitze vertragen. Denn die konnten sich doch nicht so schnell umstellen. Nach und nach lernten die Schösslinge, aber sie waren ja an ihre Landschaft gewöhnt. An ihre Erde. “ Darum habe ich von den Inseln erzählt. Es war doch so, dass die Spanier von Südamerika viele Pflanzen mitbrachten, von denen wir hier jetzt gelebt haben. Kartoffeln, Mais, Kaffee, Kakao: das gab es alles in Europa nicht! Ist erst 500 Jahre her. Und auf den Inseln haben sie es angepflanzt, denn dort ist das Wetter am wärmsten gewesen, in den Bergen wiederum konnte sich der alte Urwald erhalten, der anderswo längst gefällt worden war. Nun ja, sie hatten für ihre Schiffe so viel Holz gebraucht. Darum ist Spanien nun schon fast eine Wüste. Wir sind hier, weil es groß und leer ist.


 Tagesanbruch


Und dann sang plötzlich ein Vogel. Ganz zaghaft. Es erschien so unwirklich, alle wurden ganz still. Sie öffneten die Augen. War das etwa ein Streifen Licht am Horizont? War es möglich? Ein zweiter Vogel begann zu singen, ein dritter. So als wäre dies ein Morgen wie jeder andere. Für unsere Menschengruppe war es wie ein Traum. Der Himmel graute und sie blickten sich an, als sähen sie sich zum ersten Male im Leben. Lächeln legte sich in die Gesichter. Dies fühlte sich an wie eine neue Geburt, als wäre ihnen ein Leben geschenkt worden, um einen weiteren Traum zu leben. Die Kinder begannen sofort, sich zu bewegen; das hatten sie am meisten vermisst. Und die Großen lagen sich in den Armen, einfach zu ergriffen, um Worte zu finden. Nach einer Weile konnte man Farben unterscheiden, die Augen erkannten wieder die Umrisse der Bäume und Sträucher.
 
 Amon
 
Der Strahl findet den Wert ohne Wertung der goldenen Hülle. Wahre die einfache Kunst der Wahrheit. Das Goldblatt wendet sich zur Klarheit.
 
Marlan sah einen neuen Satz in ihrem Innern. Er sagte vermutlich, dass das Gesehene im Außen die Hülle sei, dass sie die goldene Wahrheit bereits in sich trugen, so in der Art. Gewiss konnte man stundenlang darüber nachdenken. jetzt aber, nachdem sie ehrenvoll das Licht begrüßt hatte und alles wieder erkannte, war sie auch so dankbar für das Augenlicht und hatte schon im Sinn, etwas Essbares zu suchen.. Der Geruchssinn war stärker geworden in dieser Zeit des Innehaltens, und half nun besonders gut dabei, Pflanzen zu finden. Es war immer noch, als sei Zeit vollkommen unerheblich geworden, sie gingen erst sehr langsam wieder in einen Zustand des Körperseins zurück.

Dann hatte einer Minze entdeckt an einem Bächlein, der nächste sah einen Apfelbaum mit Äpfeln. “Warum eigentlich in die Höhlen?” fragte Melchor, als sie umher raschelten im Gebüsch und durch den Sonnenaufgang ein Gefühl für Himmelsrichtungen wiedererlangt hatten. Ja, warum. Das war mehr so eine Ahnung. “Alle Überlebenden würden sicher ebenso wieder in ihren Häusern wohnen wie zuvor auch, oder? Wir könnten doch versuchen, uns mit ihnen zu einigen um einen Wohnplatz. Mit ihnen arbeiten? Was schließt uns davon aus?” In der Tat, jeder wünschte sich ein wenig menschliche Umgebung zurück. Sie waren wie die Tiere auch im Wald gelegen und hatten gewartet, weil sie keine andere Wahl hatten. Aber nun erinnerten sie sich, dass es mehr zu teilen und mitzuteilen gab.
 
Es war ein innerer Aufruhr, der sie nun erfasste. Marlan sank wieder in einen tief medialen Gemütszustand und sah, dass Stürme und Orkane die Welt in Umwälzungen stürzten. Natürlich konnte sie nicht sagen, dass dies die nähere Zukunft wäre. Aber es beunruhigte sie doch. Dies wäre sicher das Argument für die Höhlen, und war vielleicht die Rettung der wenigen Vorfahren gewesen, die so etwas durchgemacht hatten. Sie sprach mit Pinto, dem erfahrenen Weltenbummler. Diese Stürme würden auch vor seinen Inseln nicht haltmachen. “Da gibt es aber Höhlen” brummte er, sah jedoch ein, dass der Weg zu weit sein würde, um sicher dorthin zu gelangen. “Wir sollten Samen sammeln von allen Pflanzen, die solche jetzt haben!” gab er die Weisung heraus. Wir haben ja schon gesehen, was im Norden passiert ist, als alles verwelkte am Gift. Es ist vielleicht nur eine kleine Mühe, die große Früchte tragen kann.” “Dies ist ein Weg der Heiligen”, Melchor war auch dafür, dass sie ihn gingen. Er hoffte, dass sein Freund und andere wesensverwandte Menschen auf den gleichen Gedanken gekommen waren. Da er sich so viel mit alten Kirchen beschäftigt hatte, hatte er auch schon so einige Legenden gehört darüber, wie die Heiligen Wunder bewirkt hatten und Menschen den Weg wiesen. Es mochte auch daran liegen, dass Quellen Wasser gaben, sauberes Wasser, und durch Erdstrahlung und Geologie die Orte zu besonderen wurden. So hielt Melchor einen kleinen Vortrag, als sie abends um ein kleines Feuer herumsaßen:


 Erdmutter


“Die schwarze Madonna.  Jetzt ist die Zeit, wo wir uns endlich in Glück und Frieden treffen wollen. Viele von uns haben eine dieser Visionen in sich getragen, haben diese Energie in früheren Zeiten getragen, und darum gibt es auch so viele Maria Magdalena-Bücher. Es sind unterschiedliche aber im Geiste ganz ähnliche Erinnerungen. Die Wahrheit liegt in den Geschichten selbst. Wie kann man das linear erklären? Ich fühle, das ist stimmig so. Früher habe ich mir Gedanken gemacht, wie das sein könne, denn ich habe einige dieser Bücher gelesen und keiner der Autoren schien mir  falsch. Und ich war auch an Orten, wo ihre Kraft zuhause ist, wo Menschen das fühlen. Zum Beispiel in den Pyrenäen, bei Rennes-le-Chateau. Was wohl mag der heilige Gral wirklich gewesen sein, muss ich das noch fragen? Es ist keine christliche Geschichte. Viel zu sehr wird die Geschichtsschreibung offiziell von der Kirche, diese allerdings auch zersplittert, als einzige Wahrheit ausgegeben.

Das kann ja gar nicht sein! Doch innerhalb der Kirche haben einige Wissende und Mutige auch immer das Wahre gehütet. Maria Magdalena ist die schwarze Madonna in den Kirchen Frankreichs und Spaniens, bis nach Mittel- und Südamerika ausgewandert und dort sehr geliebt. Denn sie ist alle Frauen der Erde. In diesen katholischen Ländern ist Zweiteilung der Frau sehr stark, in einerseits die Jungfrau als heilige unerreichbare Himmelsmutter, und in die sinnliche Erde, die Frau als solche.  Viele Frauen tragen  einen Schatten mit sich herum, weil sie den Körper nicht gleichermaßen ehren und lieben. und wir könnten das Verborgene an die Oberfläche holen und sagen: Hier, die Erde, der Körper ist ein wichtiger Teil von mir, er gehört geliebt wie der geistige Aspekt auch. Im Grunde ist die Ablehnung dieses Frauenaspektes eine Ablehnung seiner selbst. Ob Frauen oder Männer dies tun, sie lehnen ihre eigene Lebendigkeit ab. Daran kranken die Körper, die Gesellschaften, die Religionen. Doch für viele ist eben die schwarze Madonna ein großer Trost, sie pilgern und beten zu diesen Statuen, weil sie ihnen nahe ist. Wir sind im Körper der Erde geboren, ob diese bei anderen Völkern nun als Maiskolbengöttin repräsentiert wird, oder als Trommel oder oder. In Europa sind die Stätten, wo ihre Stauen stehen, oft sehr alt, und mit Kirchen oder Kapellen gekennzeichnet worden, um sie zu bewahren. (sacri monti, Tessin; Guadelupe, Spanien; Chartres, Frankreich u.v.m.) Hier ist sie die Erde in menschlicher Form, und so viel anders als die scheinbar primitiven Religionen sind auch westliche nicht.  Denn sie beruhen ja auf dem gleichen Urmythos. Mythos ist mehr als eine Geschichte. Er ist immer unsere, die Menschheitsgeschichte.”
 
Den Kindern gefiel es, dass sie als eine Menschenfamilie angesprochen wurden, und sie kuschelten sich am Boden zusammen. Die Erde war wieder warm geworden und gab ihnen Leben. Am nächsten Morgen ging die Sonne früh auf und jeder Lichtstrahl war eine Wohltat. Was ist das überhaupt, der Zauber eines Ortes? Oft geht er vom Licht aus. In vielfältigster Weise trifft Licht aus dem Raum auf der Erde auf  und ohne das Licht in unseren Augen bliebe es uns verborgen. Wir sind doch in elementarem Miteinander mit diesem Zauber.
 
Weiter


 
“Allez allez” versuchte Pinto die anderen anzufeuern, damit sie sich nun endlich wieder gezielt bewegten. Es würden noch Tage vergehen, um an den richtigen Ort zu gelangen. “Da gibt es eine große berühmte Höhle, an der wir besser vorüberziehen”, wusste er zu berichten.” Stellt euch vor, die haben sie sogar zweimal: die ganze Höhle mit den Felsenbildern ist nachgebildet worden, damit die Echte nicht zerstört wird durch die Atemluft der vielen Besucher!” Marlan blickte auf:

 

“ Oh, das wäre ganz fatal, wenn man in der falschen Höhle Schutz sucht, die dann womöglich einbricht, oder auf jeden Fall kein Wasser zum Trinken birgt! Ja, es könnte sein, dass viele Menschen sich dort sammeln, wenn es ungemütlich wird. Wir suchen lieber etwas Unbekanntes.” “Sisisi, die ist auch abgeschlossen, und niemand kann hinein. Wird tragisch. “ Pinto stapfte nun entschlossen voran und wieder einmal fielen sie in einen Rhythmus des gleichmäßigen Gehens, diesmal in Richtung Westen, das Meer war nicht zu sehen. Sie würden ihm vielleicht wieder näher kommen. Die Tage der Dunkelheit hatte den Bäumen zum Glück noch nicht geschadet und es war die Zeit der Reife, Äpfel und auch Beeren fanden sich in Hülle und Fülle. Doch es begann auch täglich zu regnen. Alles wurde mühsamer, denn es ging ins Gebirge hinauf. Zu ihrer Seite türmten sich nun recht hohe Berge auf, und das war doch auch die Grundlage für so etwas wie Höhlen. Melchor gab zu bedenken, dass zur Zeit, als die bekannten Höhlen bewohnt waren, vor unvorstellbar langer Zeit, das Meer eine ganz andere Höhe gehabt hatte. Er war sich sicher, dass die Leute nicht so nah am Wasser gewesen waren. Sie sollten sich lieber zu ihrer linken Seite in der Höhe orientieren.

Dorthin gab es auch Pfade, wenn auch viele wohl nur von Ziegenhirten begangen waren. Das war nicht die einfachere Lösung, aber entweder man machte es richtig oder gar nicht. Der Wind frischte immer wieder auf, vor allem die Nächte wurden ungemütlich. Und dann trafen sie auf Menschen, ganz plötzlich. Offenbar hatten sie das Richtige gemacht! 

 

Neue Freunde

 

Eine kleine Gruppe junger Leute lagerte am Rand des Weges auf einer flachen Stelle, sie wirkten eigentlich ähnlich verwildert und ärmlich wie sie selbst. “Hallo, Hola!” Sie grüßten sich alle überrascht und aufgeregt, sahen sich lange an, dann setzten sich die Neuankömmlinge dazu, um endlich einmal ihre Erlebnisse auszutauschen. Es waren drei spanisch-sprachige Paare, ein Baby war dabei und ein kleines Kind. “Wo geht ihr hin ?” war die erste Frage, die nicht leicht zu beantworten war. Es stellte sich heraus, dass Ramon und seine Gruppe oben auf dem Berg wohnten, gewohnt hatten, als eine Landkommune.

Sie kannten sich hier gut aus. Im Winter war es dort oben immer recht kalt, und sie hatten eine ganz ähnliche Idee gehabt, sich einmal nach Höhlen umzusehen. Ein einfaches, karges Leben waren sie gewohnt. Sie waren ein wenig schüchtern, aber auch neugierig. Ihnen war es neu, dass es im Norden zu solchen Turbulenzen, Erdbeben und giftigem Regen gekommen war. Schließlich lebten sie völlig abgeschieden ohne Radio, es war für sie gar kein Unterschied gewesen. Nur dass so gar keine Wanderer in diesem Jahr vorüber kamen, hatte sie gewundert. Dann war die Dunkelheit über sie gekommen, und es wurde klar, dass etwas ungewöhnlich sein musste. Es hatte ihnen Angst gemacht. Nun wurden sie unruhig, als sie hörten, dass die ganze Erde vielleicht in einen Aufruhr geraten könnte. Ein lebhaftes Palaver setzte ein, von dem Marlan kaum noch etwas verstand, in all den verschiedenen Dialekten des Landes.


“Wir sind froh, Euch zu treffen,” sagte sie in einer Pause. “ wir kennen uns hier nicht so gut aus. Wäre es möglich, eine Weile mit euch zu gehen?” Sie blickte ihre Gefährten an, ob sie damit auch einverstanden seien. Das Palaver setzte wieder ein, alle redeten durcheinander und lachten und nickten und Pinto zog die Schultern hoch und schüttelte lächelnd den Kopf. Ihm war, als sei er endlich wieder zuhause. “Für so viele Menschen brauchen wir eine größere Höhle.” sagte ein junger Mann, der sich als Sandrino vorstellte. Er zog einen Beutel hervor und bot den Kindern ein Stück Brot an. Denen fielen fast die Augen aus dem Kopf, dass es so etwas noch gab! Es war hartes Brot, doch sie kauten eifrig an ihren kleinen Stücken, die er abbrach. Mauro hatte sich quietschend zu dem kleinen Gespielen gesellt. Dann nahm Pinto die kleine Gitarre vom Rücken, die er auf keinen Fall zurückgelassen hätte, und begann zu singen.”Tierra, mi cuerpo, Agua, mi sangre…” Nun war es an den Anderen, zu staunen, dass es so etwas noch gab. Früher hatten sie Feste und auch Besucher gehabt, doch dann wurden es weniger und weniger, die Freude an dem schweren Leben auf dem Lande gefunden hatten. Für den Wanderer war dies immer seine Währung gewesen, mit der er für Essen und Lager gedankt hatte. Manche stimmten nun ein in das einfache Lied, und ein ganz neues Gefühl von Angekommensein breitete sich aus. Luzon
 
Das Lichtland ist der Ort von überall. Wir sind im Kreis der Geburten durch Lichtschichten hindurch. Jeder ist vielzahlig vorhanden. Ihr seid und wir sind mehr als gleichzeitig vielstrahlige liebende Seelen aus dem Urstrom. Zwischen hier und dort ist nichts.
“Kommt, es gibt einen Stall, wo wir schlafen können, ein Stück weiter oben.” Nun waren sie eine richtige kleine Karawane, die sich langsam den Berg hinaufbewegte. Marlan wurde als abuela angesprochen, Großmutter. Ja natürlich, sie war die Älteste, außer Pinto, doch den würde wohl niemand als Großvater bezeichnen, denn er war nun ein für alle Mal der cantador.


Henry mit den blonden Zöpfen kam aus England, lebte schon ein paar Jahre hier mit Mariela, die anderen kamen aus Städten und waren  sich unterwegs begegnet, ein Freund war als Hirte mit den Ziegen oben auf der Hochebene geblieben. Das Land der LaVida-Gemeinschaft lag etwa zwei Tagesmärsche weit auf einer Hochebene, und wenn sie eine gute Höhle für den Winter fänden, würden einige dort die Vorräte und anderes Nötige abholen. Sie beschlossen, den Stall zunächst als Unterkunft zu halten, und von dort aus in kleinen Gruppen zu klettern. Wahrhaft riesige Felsenbrocken lagen hier herum, eine wilde Landschaft, je höher man kam. 
Das neue Miteinander erzeugte veränderte Gruppierungen, man war interessiert aneinander. Marlan ruhte sich einige Tage aus, sie hielt eine kleine Feuerstelle in Gang und trocknete Apfelringe, achtete auf die Kleinsten und fühlte sich damit vollkommen gut. Alles andere musste warten. Zum Meer war es doch ziemlich weit, und die dortigen zerklüfteten Klippen und starken Wellen machten das Leben dort nicht einfach, dies erfuhr sie von Mariela mit dem Baby, die oft bei ihr saß. Wind war ein ständiger Begleiter. Sie beide sammelten Kräuter, die sich in der Umgebung fanden. Die Natur war hier mächtig, der Mensch war klein und es war ganz natürlich, dies anzuerkennen und sich hineinzufinden. Eigentlich änderte sich das Wetter permanent, es war in Bewegung und blieb nicht gleich. Wolkenbanken blieben am Berg hängen und regneten sich ab. Dann riss der Wind den Himmel wieder auf, goldenes Licht flutete herein.

 

Abends kamen nach und nach die Wanderer müde zurück, hatten dies und das entdeckt. Es war gut, dass sie so vieles erfahren konnten über das Land. Und es fanden sich auch die Kastanien, deren Zeit jetzt gekommen war. Holz müsste gesammelt werden, doch machte es keinen Sinn, falls die endgültige Herberge zu weit entfernt wäre. Dies war ihr Leben, und niemand machte sich Gedanken darum, ob andere noch anderswo auf die alte Art versuchten, wieder aufzubauen. Marlan teilte einiges über die Prophezeiungen, die sie kannte. Doch diese jungen Menschen hatten sich ohnehin schon entschieden, den Weg zu gehen, mit der Erde im Austausch und in Liebe zu sein. Vervain lebte auf, das Mädchen war immer kräftiger geworden, und Leute etwa ihres Alters um sich zu haben gefiel ihr ungeheuer.

Ihre Augen strahlten trotz der ungewissen Umstände. Eines Abends kam sie mit ihren Gefährten atemlos und schlammverschmiert in der Dämmerung herein, sie riefen aufgeregt und gestikulierend etwas über eine cueva. Wasser gab es in Hülle und Fülle überall, so dass man das nicht suchen musste. Es dauerte einige Stunden, um diese cueva zu erreichen und sie gingen mit den anderen am nächsten Tag. Dann blieben sie über Nacht, um es genau zu untersuchen. Es gab wohl auch kleinere Nebenhöhlen dort, Lagerstätten, und es wäre ein guter Versuch.

 

Winter

 

Dann hatten sie erst richtig viel Arbeit zu tun, die Männer machten sich auf zur Hochebene, um alles was tragbar war, mit den Herden und Hühnern und zwei Eseln herüber zu schaffen. Die anderen suchten nun Reisig, das getrocknet werden musste, bauten einen Herd am Rande des Einganges, sammelten Steine ein, und immer fiel ihnen noch etwas neues ein, was für einen längeren Aufenthalt wichtig wäre. Für die Tiere brauchten sie einen Platz vor ihrem Schutzraum, die konnten nicht hinein. Da war es allerdings keineswegs gerade und flach, ganz im Gegenteil. “Man kann jedes Moos essen” sagte Rosa zu Vervain. Das half gut gegen den Hunger, der doch immer wieder aufkam. Als die Hühner in kleinen Holzkäfigen ankamen, die an den Seiten der Esel befestigt waren, da war es eine große Ehre, seit langem wieder einmal ein Ei zu kosten. Der junge Mann, der die Tiere gehütet hatte, stellte sich vor, er nannte sich Bera. Einen Hund hatte er auch, und die Kinder waren entzückt von den Eselchen und dem wilden zotteligen großen Hütehund. Nun brachten sie Säcke mit Getreide,jeden Tag musste ein großer Topf mit Brei angerührt werden, wo möglichst viele Kräuter hinein kamen. Es sollte für alle reichen - wie lange würde das gehen? Es war nötig, immer noch Erkundungen zu unternehmen, und obwohl sie nicht töten wollten, war die Frage im Raum, ob sie Fleisch essen müssten, um zu überleben. Es waren 5 Ziegen  da, die nun in der Nähe fraßen, was ihnen vor die Mäulchen kam. Die kletterten an Stellen, wo es für die Menschen unmöglich war. In die Höhle selbst konnte man weit hineingehen, doch wo es dunkel wurde, hatte niemand Lust, weiter zu forschen. Es war trocken, es schien unbewohnt.” Ja, in diesen Bergen gibt es auch Wölfe und Bären!” erzählte jemand, und dafür brauchten sie den Hund. Und das Feuer.
Siebzehn Menschen sind schon ein kleiner Clan, und es war an der Zeit, Vereinbarungen  festzulegen und sich einzurichten. Und dann wurde es kälter, sie alle blieben länger am Feuer sitzen. Sie unterhielten sich noch immer in verschiedenen Sprachen, doch lernte Marlan schnell dazu. Wenn nötig, so war Pinto als Übersetzer zur Hand. Auch Henry erzählte gern in englisch. Und so trugen sie ihre Geschichten zusammen, während der langen Monate, die nun folgten.
Durch die Ruhe kam Marlan häufiger in eine Traumzeit, in der sie Dinge sehen konnte, die sich anderswo abspielten oder abgespielt hatten. Die zeitliche Einordnung war nicht so ganz klar. Dies erschien ihr als ganz natürliche Eigenschaft und wurde auch so akzeptiert, denn eine andere Möglichkeit war gar nicht vorhanden, etwas zu erfahren. Eines Tages, nachdem sich alle miteinander als Vertraute und Freunde empfanden, begann Marlan über das Buch zu sprechen, das sie gefunden hatten. Sie hatte den Impuls, es müsse angeschaut werden und vielleicht auch an einem Ort wie diesem wieder aufbewahrt werden. Sie sprach auch davon, dass es ein Ältestentreffen geben sollte, wann und wo genau das stattfinden könnte, war ihr noch nicht eingegeben worden.

 

Metatron
Die alte und die neue Zeit werden verbunden. Im Kristall ist jedes Jetzt lebendig. Dieses Tor ist die Rezeption für den Palast mit den unendlichen Räumen. Um welchen Schlüssel wirst du bitten?


Sie öffneten vorsichtig das Buch, welches keiner von ihnen lesen konnte. Und doch begannen sie auch ein wenig, wenn sie schnitzten, an die Felsen zeichneten, oder Handarbeiten herstellten, die Zeichen und Buchstaben sich einzuprägen und abzubilden, die darin waren.

Sie schrieben auch in ihren eigenen Schriften, es war genügend Platz an den Wänden. Dies wurde eine ganz neue Art von Höhlenmalerei und jeder konnte sich dort mit zermahlenem Stein und Kohle eine eigene Welt erschaffen. Rot, weiss, gelb. Schwarz. Es mochte primitiv erscheinen, und doch war es die Essenz von einer langen Kulturgeschichte eines Kontinentes, wie sie in ihnen als Individuen abgebildet wurde. Dies wurde mehr und mehr zu einem Werk, was sie als wichtig empfanden. Sie schauten die neuesten Eintragungen in ihr Buch der Geschichte, wenn sie geduldig aufgetragen worden waren.  “Seht”, sprach Marlan am Abend, als es draußen stürmte.

 

"Jeder Mensch hat einen Auftrag, eine Weise, auf die er der ganzen Menschheitsgeschichte seinen roten Faden hinzufügt. Eines Tages kommen andere Menschen, die die Steinchen eines Mosaiks wieder zusammenfügen. Da wir so vielfältig sind in unserer Herkunft, können wir eine Art von Wörterbuch erschaffen. Auch Kalender und das Festhalten besonderer Ereignisse werden immer wichtig bleiben.” Da weder Sonne noch Mond oft zu sehen waren, schien dies schwierig. Täglich ging jemand hinaus, um Wasser zu holen und die Tiere zu versorgen, oder wenn nötig, in den kleinen Unterstand am Höhleneingang hereinzuholen. Weiter oben in den Bergen war es sicherlich kälter. Schnee aber gab es hier keinen.

Als die Zeit sich dehnte und Tage in Nächte übergingen, ohne dass es zu unterscheiden war, begannen auch die Felsen für Marlan zu sprechen. Es war nicht komfortabel. Der Rauch des Feuers wurde in die Unterkunft hinein geblasen durch die Winde. Es wurde nicht mehr viel gesprochen. Sie hatten eine Art von Zelt um das Feuer herum gebaut, doch konnten nicht alle gleichzeitig dort liegen. Es war wie eine Zeit ohne Zeit, ohne Maßeinheit und ohne Anhaltspunkt. Sie selbst waren der Anhaltspunkt, die Erde war der Grund. Die täglichen Arbeiten wurden wie Riten, welche das Dasein ermöglichen. Der Felsen hatte bereits sehr viel längere Zeit Bestand und er flüsterte nun beruhigende Zeilen in Marlans Innerem. „Auch wir, auch das Dunkel, wir alle sind Sonnenspirits, wir alle kommen aus dem Raum und sind zu etwas geworden. Durch die Form lernen wir, kennen wir uns neu und anders, immer wieder.“

 

Aaron

Das Hin und Her von Einigkeit erzeugt ebensolche. Ins Buch der Geschichte könnt Ihr sie senden, um es neu zu schreiben. Nichts ist vorbei, bis Du den Strahl lenkst.


Für alle beginnt ihre Vergangenheit zu verblassen. Wir sind, wer wir  jetzt in diesem Moment sind. Was vorher war, hat an sich hier keine Bedeutung. Umso mehr steigt ihre Bedeutung auch füreinander. Sie beachten sich gegenseitig mehr, entdecken die Schönheit und Eigenheit eines jeden ihrer Nächsten. Sie werden sich nah. "cielo“, sagt Pinto nun manchmal zu Marlan. Dies gefällt ihr. Es ist eine Zugehörigkeit, die nicht mit der Erwartung einhergeht. Auch die jungen Leute nennen sich „Amor“ oder „Liebe“. Alle sorgen füreinander, doch jeder nach seinem Ermessen und seiner Fähigkeit. Da gibt es Offenheit, zu sein, wer sie sind. Die Musik ist immer wieder ein Bote für Freude und Einklang. Kinder stimmen Lieder an, klatschen in die Hände, erfinden Töne, indem sie Stöcke aneinander schlagen. Auch der Topf darf  mitmachen. Der niedrige Raum erzeugt einen besonderen Schall.


Sie sah ihn deutlich: er rannte eine Strasse entlang, atemlos und entsetzt. Vervain setzt sich mit einem Ruck auf und öffnet die Augen. „Was war das?“ Sie fühlt so tief mit dem Unbekannten, als kenne sie ihn , als gebe es keine Distanz. In ihren Gedanken möchte sie ihm helfen, sie denkt: Komm, wir sind hier. Es ist ein junger Mann mit wirrem Haar und wirrem Blick, offenbar ereignen sich irgendwo schreckliche Dinge. Marlan, die in der Nähe Kastanien röstet, blickt auf. „Sprich“ fordert sie das Mädchen auf.

Sie hat schon eine Ahnung, dass diese die Gabe in sich trägt, zu sehen. „Das innen Erlebte ist genau so wahr wie das außen Erlebte.“ Damit sie die Gabe versteht, muss sie lernen, dass es immer einen Grund gibt, warum sie sieht. Es können schlimme Dinge sein. „Doch,“ „Du kannst helfen, denn für denjenigen, den du siehst, bist du ebenfalls dort! Das ist eine Übung, sich zu bewegen mit dem Traumkörper, dem inneren unsichtbaren Bewusstsein.“ Vervain nimmt sich eine Kastanie, um sie abzuschälen. Diese ist heiß und verbrennt fast ihre Finger. „ Dann weiß er vielleicht nun, dass es uns gibt?“ „Mehr als das, es gibt ihm Hoffnung. Solche Verbindungen kommen oft in höchster Not zustande, man nennt es telepathisch. Offenbar sind alle Menschen dann fähig, sich für einen anderen Bewusstseinsraum zu öffnen, in dem wir auf diese Weise kommunizieren. Wir tun es immer, doch wissen wir nicht alles, was da geschieht. Es wäre wohl zu viel für unser bisheriges Dasein gewesen.“ Marlan lächelte und sagte: „Ich freue mich, dass wir uns alle auf diese Weise gefunden haben! Möchtest du den Weg der Wissenden gehen?“ „Ich möchte, dass er uns findet!“ stößt Vervain hervor. „Das ist gut. So wirst du nun, wenn du dich  zur Ruhe legst, ihn in Gedanken aufsuchen und mit ihm sprechen. Viele sind allein, und bekommen nun solche Hilfe.“ Sie begannen nun beide, mehr Kastanien abzuschälen, um daraus ein Mus herzustellen.
„Ich glaube, dass alle zu Wissenden werden.“ raunte Marlan Pinto zu, als sie später in den Decken lagen. „Wir reden mit dem Wind, er fegt die toten Äste herunter von den Bäumen, so dass wir sie am nächsten Tag aufsammeln können, wenn der Regen nachlässt. Wir reden mit den Menschen, die sich anderswo in Angst befinden. Wir reden mit den Vulkanen, damit sie sich beruhigen. All das ist der Grund, aus dem wir uns hier befinden und lernen, zu lenken, ohne zu herrschen.“

 

Vervain befasste sich nun ernsthaft mit ihrer neu entdeckten Aufgabe, sie stellte fest, dass sie dabei noch vieles anderes sah. Es gab in der Tat so viel zu sehen, dass sie ständig davon erzählte, und die anderen jungen Frauen damit ansteckte. Rosa sagte: „Meine Mutter konnte es auch. In meiner Stadt lebten die ciganos, zu ihnen gingen wir, um etwas über unsere Zukünftigen zu erfahren. Weil sie Geld brauchten, erzählten sie nur wenig und es war meist das Gute. Aber Mama, sie sah immer nur Schlimmes voraus, wenn ich nicht tat, was sie wollte.“ „Auch sie wussten über die Ereignisse auf der Erde Bescheid“ sagte Pinto. „Ich habe sie getroffen und mit ihnen musiziert und viel getrunken...“ „Es hat wohl auch einen Sinn, dass dieses Volk sich so nach allen Seiten verteilt hat. Es ist als kämen sie aus einer viel älteren Zeit und haben das Wissen an frühere Umwälzungen bewahrt. Sie wussten, dass Sesshaftigkeit nicht das Überleben sichert.“ Rosa drehte sich um: „Sie haben das nicht mit uns geteilt!“ „Nun, wie konnten sie? Waren die Menschen denn so weit, dass sie es hören wollten? Nur Wenige fanden den Weg.“ „Ja“ warf Marlan ein,“ Zu viele waren wie deine Maman, Rosa. Sie hätten das Wissen nur benutzt, um zu herrschen. Dahinter steckt Angst, die verständlich ist. Doch aus der Angst heraus ist man blind für die Wahrheit.“ Wir sehnen uns nach dem Verstehen eines Sinnes. Marlan mochte die Gemeinsamkeiten, das Vertraute im Halbdunkel der Höhlenwände, mit der Glut des Feuers, worin Kartoffeln schmorten oder Fladenbrote. Und doch wurde sie, je länger der Winter andauerte, unruhig.

 

Es waren bisher keine schlimmen Stürme über sie hereingebrochen, es gab keine Anzeichen für eine grausame Zukunft. Es gab jedoch noch etwas zu tun für sie, ein Wissen um das notwendige Treffen der Ältesten trieb sie innerlich, denn die Menschen müssen mehr unternehmen als reines Überleben. Es ging um nicht mehr oder weniger, als eine neue Kultur zu gründen, die auf der Wahrheit beruht – etwas, dass so viele schon versucht hatten! Sie sprach mit Pinto über den Aufbruch, und dieser hatte nichts lieber im Sinn, als wieder auf der Wanderschaft zu sein. Diesmal würde es ein Unternehmen ohne Kinder werden, denn diese hatten sich wunderbar in ihrer Gemeinschaft zusammengefügt und endlich ein Zuhause. Im Sommer würde die Gruppe wieder nach oben auf den Berg gehen, wo die Tiere weiden könnten. Marlan vertraute den Frauen, dass sie ihrer Intuition folgen würden.
 
Und so wurde es beschlossen, dass die beiden Ältesten ihrem Wege folgen. Sie erbaten sich den Esel zum Tragen und Reiten, was ein großes Opfer der Gemeinschaft bedeutete. Doch diese Menschen waren sich bewusst, dass ein größeres Ziel dahinterstand und dass die Kräfte von Marlan auch nicht mehr die gleichen waren, die sie als Jüngere hatten. Was konnte sie ihnen nun noch mitgeben?

 

Kurz nach dem Aussprechen der Absichten hatte Marlan einen Traum. Ein roter Felsen im Meer erschien vor ihrem inneren Auge, von wilden Wellen umtobt. Er schien von Seevögeln belebt, und sie sah keine Anzeichen von Menschen. Dennoch hatte sich jemand dieses Felsens bedient, um Macht auszustrahlen. Marlan hatte eine Ahnung, um welchen Ort es sich handelte. Diese Insel lag im Nordmeer zwischen dem Kontinent, den sie bewohnte und den britischen Inseln.  Im Traum nun vergrößerte sich der Sichtbereich als würde sie fliegen und aus großem Abstand von oben auf die Erdkugel herabschauen. Sie konnte nun mehrere Orte erkennen, die wie Quellen von Kraft eine anziehende Wirkung offenbarten. Einige davon waren schwach und durch eben solche andersartigen Strahlungen, wie sie von dem roten Felsen ausgingen, eingeengt. Marlan wusste nun, dass solche  Störungen die Ursache für mannigfaltige Turbulenzen bildeten, und zwar sowohl der Erde selbst als auch im Menschengefüge. Als sie erwacht war und im Gespräch mit Pinto dieses Erkennen erklärte, nickte er, wie so oft, als habe er schon  das Gleiche vermutet oder erfasst. Er hatte seinerseits eine Landkarte des  Gebietes in sich, welches sie nun langsam betreten würden. Es war vielleicht nicht weit, aus Marlans Traumansicht betrachtet. Doch diesmal würden sie hohe Berge erreichen. Der Name des Gebirges, in dem sie das Treffen der Ältesten erwarteten, war schon vielsagend: Das Sternengebirge.
 
Marlan kam es vor, als wenn sie schon jetzt sich wieder ausdehne, größer werde in der Erwartung der Landschaft, der Weite der Berge. Und des Wissens und der Erfahrungen jener, denen sie begegnen würden, denn alle brachten etwas, was Kontinuität des Menschseins ausmachte. Dieses eine Mal nun werden sie es zusammentragen, um eine allen gemeinsame Grundlage der Lebensgesetze zu vereinbaren. Die vereinte Kraft brauchte es nun, um die letzten Hindernisse zu bereinigen. Die Tage wurden heller, länger. Noch einmal saßen sie alle zusammen, um sich ein Wiedertreffen auszumalen, um die Route des Weges zu erläutern, damit andere eines Tages folgen könnten, und um die letzten Geschichten zu Ende zu erzählen. So kam noch einmal die fünfte Sonne ins Spiel, und Marlan sprach von deren Entstehung nach der alten Legende aus Amerika.
 
Denn diese ging noch weiter....
 
Die fünfte Sonne
 
„Lange überlegten die vier mächtigen Götter, wie die fünfte Sonne aussehen sollte, und lange fiel ihnen nichts ein. Eines Tages beschlossen sie, auf der heiligen Stätte Teotihiacanu eine Versammlung einzuberufen, an der alle weniger mächtigen neunhundertneunundneunzig Götter teilnehmen sollten.
Es wurde eine wahrhaft große Versammlung mit wahrhaft vielen Vorschlägen. Und beschlossen wurde, dass sich einer von ihnen opfern, nämlich ins Feuer springen solle, um danach als goldene Scheibe am Himmel emporzusteigen. Doch welcher von ihnen sollte ins Feuer springen? Schliesslich meldete sich Teccuciztecatl und sagte: „Ich werde als Sonne am Himmel emporsteigen. Ihr werdet es sehen und zufrieden sein.“ Alle atmeten auf, aber zugleich schauten sie einander zweifelnd an. Kannten sie doch Teccuciztecatl als Schwätzer und Prahlhans. Wer konnte wissen, ob er es ernst meinen und sein Versprechen halten würde? Eine Weile herrschte Stille, doch dann hoben alle die Köpfe und schauten auf Nanahuatzin. Ihn kannten sie, ihn, den Gutmütigen, der nie etwas abschlagen konnte. Und da meldete er sich auch schon und sagte:“ wenn ihr wollt, werde ich ins Feuer springen und am Himmel als Sonne emporsteigen!“ Nun atmeten die mächtigen und die weniger mächtigen Götter wirklich auf und begannen sogleich mit den Vorbereitungen. Und im Tempel beteten und opferten Teccuciztecatl und Nanahuatzin vier Tage lang. Teccuciztecatl opferte die wertvollen Federn des Vogels Quezala, Gold und Edelsteine, herrliche Korallen. Der arme Nanahuatzin gab das wenige, was er hatte: Schilf, Schwert, und scharfe harte Agavenblätter, die er mit seinem Blut benetzte. Dann wurde ein großes Feuer geschürt. Und Teccuciztecatl schmückte sich mit den Vogelfedern und Nanahuatzin warf sich einen Strohmantel über die Schulter, und zusammen begaben sie sich ans Feuer. Dort warteten schon die anderen Götter. „Spring, Teccuciztecatl!“ riefen sie, „spring in die Flammen!“ Teccuciztecatl machte vier, acht Schritte..., doch dann zögerte er und lief zurück. Noch dreimal nahm ihm die ungeheure Hitze den Mut. Da wandeten sich die Götter an Nanahuatzin. „Nanahuatzin, spring!, riefen sie, „spring du in die Flammen!“ Und Nanahuatzin sprang ohne zu zögern in das große Feuer. Donner grollte, Flammen schlugen empor und verschlangen ihn, den Gutmütigen. Erst jetzt fand Teccuciztecatl den verlorengegangenen Mut wieder und sprang Nanahuatzin in die Flammen nach. Stille herrschte. Die Götter warteten auf den Morgen. Voller Ungeduld erwarteten sie ihren Nanahuatzin, der sich in die fünfte Sonne verwandelte. Und dann war es endlich soweit,..Morgenröte strömte auf die Erde, Licht zeigte sich im Osten. Und bald darauf stieg die herrliche Sonnenscheibe am Himmel empor. Nanahuatzins Opfer war nicht vergeblich! Aber was war das? Gleich neben der feurigen Scheibe leuchtete noch eine zweite auf. „Das ist Teccuciztecatl!“ riefen die Götter zornig. „Dieser Feigling soll unsere Sonne nicht sein! Nein, niemals! Als Mond soll er der Sonne folgen!“ Und einer der Götter warf Teccuciztecatl ein Kaninchen mitten ins Gesicht, damit er nicht mehr strahlen konnte. So begann die Sonne am Himmel zu strahlen, und so wurde auch unser Mond geboren.
 
(Entnommen aus:Die fünfte Sonne, Indianerlegenden Mittel-und Südamerikas, Nacherzählt von Vladimir Hulpach, Artia, 1976)

 

Die Berge
 
Marlan und Pinto gingen langsam. Das Gebiet war rauh und schroff, es stieg steil an oder der Pfad wand sich um Felsen herum, der Weg selbst war kaum auszumachen. Und sie tauchten ein in die Welt der Berge, ohne Ablenkung durch menschliche Stimmen. Dies war ein Aufbruch mit ungewissem Ausgang, so dass es so viel nicht zu sagen gab. Freude, Hoffnung, Erwartung – beide verloren etwas, und gewannen doch neue Freiheit.   Jeder war froh um des Anderen Dasein. Augen, in die zu blicken eine große Erleichterung und Bestätigung darstellte. Der Esel war ein Gefährte, der seine eigenen Ideen hatte. Es war dennoch
nicht notwendig, ihm etwas aufzuzwingen, auch hätte dies zu viel Kraft verbraucht. Und eben darum ging es ja: dieser Esel wusste, wie er seine Kraft passend einteilte. Erst schmerzten die Füße von den steinigen Pfaden. Dann gab es wilde Wasser, in denen sich die Füße kühlen ließen, und ohnehin war es noch nicht allzu warm in diesen Höhen. Sie gingen. Sie gingen, bis jedes Gefühl von Zeit keine Wichtigkeit mehr hatte. Die Sonne und der Mond waren die Wegweiser.             
 
Und die zeigten den Süden an. Der Esel trug geflochtene Körbe an den Seiten, die Decken für die kühlen Nächte auf seinen Rücken gebunden. „Wir müssen Zeichen hinterlassen, so dass wir oder unsere Freunde den Weg zurück finden können!“ Dies hatte Pinto gleich am ersten Tag übernommen. Er hatte sich überlegt, welche Art von Wegweiser am längsten überdauern könnten. Mit Steinen legte er jeweils ein kleines Rad, in dem die vier Richtungen eingetragen wurden, so gut sie es vermochten.  Die Richtung, aus der sie kamen, war mit rotem Ocker gekennzeichnet. Ein besonderer Stein stand für ihre Zielrichtung. Zusätzlich banden sie kleine Stöckchen in die Sträucher am Rande, die dem Fährtensucher auffallen würden. Dennoch, Marlan war sich nicht wirklich sicher, ob sie jemals hierher zurückkäme. Es könnte auch umgekehrt eintreten, dass die anderen ihnen folgen müssten. Es wuchsen Kräuter in niedriger Höhe, sonst nicht viel. Sie empfand den offenen Raum manches Mal als unendlich weit.
 
Die kleine Gruppe der jungen Leute machte sich mittlerweile auf, von der Winterhöhle aus wieder auf das Hochplateau zu siedeln. Es standen ihnen karge und arbeitsreiche Monate bevor. Dennoch waren sie in fröhlicher Stimmung. Für die größeren Kinder war es das erste Mal, dass sie nun das Zuhause der anderen zu Gesicht bekamen. Sie hatten den Winter ohne schlimme Stürme und ohne große Krankheiten überstanden. Die Geburt von Zicklein stand bevor, und diesmal musste so etwas wie ein kleiner Pferch gebaut werden.
 
 

Als der höchste Punkt überwunden war, wurde alles leichter. Die ewig über ihnen hängenden Wolken blieben hinter ihnen zurück und das Klima war erheblich milder als zuvor. Auch die Vegetation veränderte sich.

 

 

Einige Tage nun folgten sie schon einem wilden Bach. Mit einem Kescher, den Pinto aus Rindenfasern und Zweigen geknüpft hatte, stand er lange still an der Stelle, wo sich das Wasser bei den großen Steinen sammelte, bevor es weiter bergab stürzte. Und es gelang ihm, wenn auch selten, und einer der Fische schwamm hinein, so schleuderte er ihn mit einer schnellen Bewegung an das Ufer.

Feuer zu machen hatten sie schon lange zuvor gelernt, mit Hilfe von zwei Stöcken. Leider war das in der feuchten Luft immer schwierig gewesen, und sie hatten manches Mal aufgeben müssen. Während der Wanderung sammelte Marlan trockenes Reisig ein, und ein Nest aus Heu trug sie immer bei sich, damit es trocken blieb. Nun entzündete sie geduldig ein kleines Feuerchen, nahm den Fisch aus und auf einem Astbett grillte sie ihn vorsichtig, damit er nicht auseinanderfalle.

Das Festmahl hob merklich ihre Stimmung.

Der dritte Gefährte, der Esel, erfreute sich derweil an der Uferbepflanzung, und er blieb immer unerschütterlich und stellte keine Fragen, wohin und warum.

Es kam der Tag, an dem sie das erste Zeichen sahen.

Marlan!“ rief Pinto plötzlich, und sie kam sofort herbei gerannt, denn viel sprachen sie mittlerweile nicht mehr, sie waren zu sehr mit der wilden Umgebung beschäftigt. Und sie entdeckte das winzige geschnitzte Gesicht in einem Baum. Das war kein Zufall, obwohl es ja immer solche Stellen gab, andenen man Gesichter und Figuren erkannte. Diese war geschickt herausgearbeitet und wunderschön, wie ein Elfenwesen, welches zu ihnen sprechen wollte.

Schweigend und lächelnd blickten sich die beiden Wanderer an. Das war wie ihre eigene Sprache! Hier war jemand gewesen, der auf vorsichtige Weise sich zu erkennen gab.

Von nun an blickten sie noch aufmerksamer hin. Und- die Zeichen mehrten sich. Es war keine Frage, ihnen wurde ein Weg gewiesen. Nun, demjenigen, der sehen konnte, wurde ein Weg gewiesen, offenbart. Mal war es eine Tierfigur, mal ein kleines Gesicht. Immer fügte sich das kleine Werk in seine Umgebung so ein, dass es nicht als fremd anmutete. Marlan sinnierte darüber, dass es in ihrer Kultur eine Bewegung von Künstlern gegeben hatte, welche sogenannte Land Art praktizierten. Das war Kunst mit und in der Natur. Allerdings hatten manche von ihnen gewaltige Umgestaltungen veranlasst, und andere sensibel die Formen der Natur als Wirkungsmittel verwendet.

In diesem Fall hier, dachte sie, war der wichtigste Grund für solche Kunst erfasst: sie war eine Sprache. Ein Gesicht ist uns etwas vertrautes, jeder Mensch geht in Resonanz mit einem Gesicht. Und sicherlich hat darin auch die Personifizierung der Naturwesen als Elfen, Nymphen und vielerlei anderer Gestalten der Mythologie ihren Ursprung. Es ist unser Weg von Resonanz und daher haben sich Mythen und Märchen am besten bewährt, ein Wissen zu bewahren darüber, dass es einen Kontakt, einen Austausch auf einer tieferen Ebene in uns mit allem gibt.

 

Es kam ihnen beiden so vor, als bewegten sie sich nun schneller voran, wo es so etwas wie ein neues Ziel geben könne. Neue Kraft hatte sie erfasst und Freude. Es ist ja nicht so, dass ein Wissen um Notwendigkeit der Wanderung zugleich immer Freude erzeugt.

Entdeckerfreude führte sie nun einen kleineren Bachlauf entlang, durch Wäldchen und über Bergwiesen. Und der Blick wurde frei, weil man herabschauen konnte auf weite Ebenen. Auch die Nächte waren nicht mehr so kalt. Sie erfreuten sich an nackter Haut, das Gefühl von Befreiung lag über allem.

Dann eines Tages sahen sie es: Zunächst konnte man nur Dächer erkennen, zwischen Felsen und Bäumen, und einen dünnen Faden von Rauch in der Luft.

Herzklopfen.

Auch zuvor war es nicht still gewesen um sie. Die Schreie von Falken, das Getöse der wilden Wasser hatten sie begleitet, Marlan hatte gesungen und sie hatten gelauscht, welche Tiere sich in ihrer Nähe aufhielten. Auch ihr Esel hatte sich durchaus lautstark äussern können. Und das tat er nun! Sein Geruchssinn war sicherlich einer der besten.

Und nachdem sein Geschrei durch das ganze Tal gehallt war, begannen die Hunde zu bellen. Und – ein anderer Esel antwortete.

Noch von fern, doch gewiss wusste nun jeder in diesem Dorfe, dass Besucher sich näherten!

Die Schritte beschleunigten sich, ohne dass sich die beiden Älteren dessen bewußt waren.

Sie stießen bald auf einen Pfad,, welcher immer dichter eingerahmt war von skurrilen Figuren aus alten Baumstämmen herausgearbeitet, Skulpturen von Tieren und Windspielen – eine Fülle von magisch wirkenden Wesen. Mehr und mehr erschien das wie ein Eingang zu einer magischen Welt.

Ein Staunen und auch ein wenig Unruhe machten sich in Marlan bereit, den Schöpfern dieser abgelegenen Enklave zu begegnen.

 

Es stellte sich heraus, dass dieser Ort eine alte Finca mit einem großen Hof, einem Haus aus natürlichen Steinen und mehreren Holzgebäuden war, welche ebenfalls wild und phantasievoll gebaut erschienen. Zwei Mischlingshunde mittlerer Größe rannten ihnen bereits auf dem Wege aufgeregt bellend entgegen. Der Esel blieb erst einmal stehen. Und so hatten sie einen Moment,, die Ausstrahlung dieses seltsamen Ortes aufzunehmen.

Es hätte Marlan nicht verwundert, eine wahrhaftige Hexe erscheinen zu sehen. Nun- sie blickte an sich herunter und auch auf ihren verwilderten bärtigen Gefährten. Wohl eher mochten sie als solche durchgehen!

Aus einem der hinteren Häuschen, von wo auch die Rauchfahne hervorquoll, erscholl ein lautes „Hoho“, welches die Hunde zur Ruhe rief. Ein kräftiger Mann tauchte aus der offenen Tür ins Licht und blinzelte sie mit einem breiten Lächeln an.

Begrüßungsworte auf Spanisch wurden getauscht, und Gonzo lud die Gäste mit wedelnden Händen und vielen Worten ein, sich an das Feuer zu setzen. Er füllte einen schwarzen Kessel mit Wasser und hängte diesen über das Feuer.

Erst jetzt bemerkte Marlan ihre ungeheure Erschöpfung.

Die Wärme, die Stimmen, von denen sie nicht alles verstand,- all das hüllte sie in einen Halbschlaf, sie lag schon fast auf dem Schaffell, welches ihr zu Füßen des Holzklotzes ausgebreitet war, der als Sitzplatz diente.

Die Einrichtung war sehr einfach. Und hier, so sah man sofort, begannen all diese kleinen und großen Holzwesen ihr Leben in den Händen eines Meisters.

Werkzeuge hingen an der Wand aufgereiht. Es war einfach, diesem Menschen Vertrauen zu schenken. Seine Art der Wahrnehmung ließ sich aus seinen Arbeiten ablesen. Auch wenn diese nicht nur freundlich, sondern auch wild und grimmig schauen konnten, so war die Liebe zur Natur klar das Zeichen, auf einen Wissenden und Erfahrenen getroffen zu sein.

Gonzolino“, sprach Pinto mit bewegter Stimme, als er seinen Tonbecher mit Tee in den Händen hielt, aus dem der Dampf aufstieg. „ So viele Wochen waren wir auf dem Wege, ohne ein Ziel zu kennen! Es ist solch eine Freude, ein Heim zu betreten, welches von einem Herzensbruder geschaffen ist.“

Und weitere gewichtige Worte sprudelten aus Pintos Mund heraus, dem das Sprechen sicherlich gefehlt hatte. Als nun Gonzolino mit glänzenden Augen ebenfalls betonte, wie lange er keinen Besuch mehr erhalten hatte und keine Neuigkeiten aus der Welt, dazu auch noch nach einer rundlichen Flasche mit einem offenbar starken Kräuterwein griff, schlief Marlan bereits.

 

Und sie träumte.

Gewiss hatten die zuvor im Flammenschein erhellten Gesichter und Figuren aus Holz bereits lebendig auf sie gewirkt. Doch nun bekamen sie Stimmen, und Marlan fand sich in eine gigantischen Höhle versetzt, welche wohl den geheimen Mittelpunkt des Gebirges ausmachte, und zu der nur von bestimmten bewachten Torplätzen aus überhaupt einen Zugang möglich war – im Geiste. Sie sah alles als wie von oben schwebend, überblickte einen Kreis aus großen Steinen, an dem sich eine alte Frau mit dem Auslegen von Lavendel befasste. Diese trug ein schlichtes schwarzes Kleid mit kleinen Knöpfen vorn, das Haar zusammengebunden, sie war barfuss und sang leise mit geschlossenen Augen vor sich hin. Ganz offenbar war dies eine Vorbereitung für etwas Kommendes.

Und ohne dass sie ihre Stimmen erheben mussten, hatte Marlan bereits begriffen, dass das Treffen der Ältesten, zu dem sie glaubte noch weit reisen zu müssen, sich auf diese Art vollziehen würde, indem sie alle einen passenden Zugang aufsuchten, der sich in ihrer Gegend befand.

Dermassen erleichtert über diese Erkenntnis, schlief Marlan dann tatsächlich tief und traumlos über viele Stunden weiter, während sich der Tag zu seinem Ende neigte, die Tiere auf dem Hof versorgt wurden und die Männer sich dann ebenfalls schlafen legten.

 

Als Marlan im ersten Morgenlicht erwachte, Pinto dicht neben sich spürend unter einer warmen Decke, wusste sie zunächst gar nicht, wo sich sich befinde. Dann hörte sie die Geräusche von Tieren in der Nähe, ein Hahnenschrei kam herübergeweht, und sie genoss das Gefühl von Angekommensein mit jedem Atemzug.

 

Dennoch war ihr klar, dass sie noch erschaffen wollten, wo sie wirklich ankommen könnten. Eine Welt, in der zu leben wieder möglich war. Es ging ja gar nicht um sie selbst, es ging ihr um so viel mehr, all diese wunderbaren Kinder und jungen Menschen, die ein lebenswertes Leben verdient hatten. Marlan erhob sich leise und trat aus der Tür des Raumes, wo sich zu ihrer linken Seite eine einfache Holzbank befand sowie ein Tisch.

Hier hatte die freundliche Seele von Gonzo ein Frühstücksstilleben aufgebaut, wie Marlan es schon lange nicht mehr gesehen hatte. Schafkäse und Tomaten, frische Eier

.an diesem Hof gab es offenbar alles, und sie fragte sich, wie er wohl allein die ganze Arbeit schaffen konnte. Sie freute sich, griff herzhaft zu. Nach einer Weile gesellte sich auch Pinto zu ihr, der zunächst zum Brunnen in der Mitte des Hofes schlurfte, um sich an einem Eimer mit Wasser den Schlaf aus den Augen zu spülen. Auch er wirkte noch müde. Gonzo und seine Hunde waren nicht zu sehen.

 

Dies ist eine Oase, ein Ort, der fast wie geheim wirkt, obwohl er von überall zu sehen ist!“ sagte Marlan. „ So ist es. Nicht jeder sieht, so wie wir es gesehen haben. Und leere Dörfer, alte unbewohnte Häuser gibt es einige in diesen Bergen, wo das Leben hart ist. Es interessiert sich niemand dafür, wenn man nicht mit einem Auto dorthin fahren kann.“ Marlan musste lachen, so weit entfernt schien ihr die Zeit, als das Autofahren als normal erschienen war. Jetzt schon war das eine unwirkliche Vergangenheit! „ Unser Bewusstsein hat wirklich eine erstaunliche Fähigkeit, sich anzupassen. Eigentlich erschaffen wir die Realität in jedem Augenblick neu, mit der wir das uns Umgebende benennen, Und zwar dadurch, dass der Körper die Erfahrung macht. „ „So viel Theorie zu einem guten Frühstück!“ brummte Pinto lächelnd, und umarmte sie einfach mal so, damit zwei Körper eine Erfahrung machten.

Dann erkundeten sie die Gebäude und die Gärten wie zwei neugierige Kinder. Man konnte einen Stall ausmachen, der sowohl für Schafe, Ziegen als auch Hühner und Esel dienen mochte. Ihren Freund, den Esel entdeckten sie mit seiner neuen Freundin auf einer Wiese weiter entfernt, und er hatte sie offensichtlich völlig vergessen.

In einem Wäldchen in der Nähe des Hauses , wo auch immer wieder Felsen emporragten, wilde Stellen mit kleinen steinumrandeten Beeten abwechselten, da erkannte Marlan ein altes Heiligtum. Auf drei großen Steinen war eine riesige Steinplatte aufgelegt worden, so massiv, dass diese Artefakte sich über lange Zeiträume nicht verloren. So waren vor Tausenden von Jahren die Toten bestattet worden, in Felsengräbern, und man hatte diese Plätze zum Dialog mit den Ahnen und den alten Göttern aufgesucht, Opfer gebracht und ihnen viel Bedeutung gegeben.

Und soweit Marlan wusste, warten die Platze dafür sorgfältig ausgesucht worden. Das Wissen um die Energielinien in der Erde war wohl ebenso alt

wie weltweit verbreitet worden. „ Nun verstehe ich noch besser, warum dieser Ort wie ein Tor ins Innere der Erde wirkt,“ sie wandte sich um „ ich habe gestern abend einen Traum gehabt, Pinto!“ „ Von hier aus können wir die anderen erreichen, die sich an ähnlichen Orten aufhalten, es wird ein Treffen besonderer Art!“

Dann sind solche Orte also miteinander verbunden?“ fragte er nach, während er trockene Zweige aufsammelte, mit denen sie später Feuer machen würden.

So ist es. Aber nicht jeder kann an einem solchen Platz leben. Dafür sind Menschen wie Gonzalino eine Art von Wächter, die diese Energien lebendig erhalten. Ich muss ihn nach der alten Frau fragen, die ich in meinem Traum gesehen habe. Natürlich, sie kann auch die Verkörperung einer Energie gewesen sein, eines Naturwesens, wie sie das Bewusstsein erschafft...“ Marlan versank in Gedanken.

Nun gut, auch unsere Körper selbst sind solche Verkörperungen, die unser Bewusstsein schafft! Ach, jetzt wird es wieder zu theoretisch, nicht wahr? Denken wir einfach, dass es eine Bewusstseinswelt gibt, in der alles erschaffen werden kann. Oder viele Welten.“

Pinto hatte sich bereits weiterbewegt, so dass Marlan ihm hinterher eilte.

 

Er sah einfach immer, wo es etwas zu tun gab, und sie wandten sich den praktischen Dingen zu, wie die Tröge mit Wasser zu füllen und anderes, was offensichtlich jemand tun musste.

Gegen Abend erst hörten sie die Hunde, und Gonzo erschien, verschwitzt und strahlend von einem Jagdausflug zurück. Das Verrückte daran war, dass er mit einem Bogen zwei Hasen erlegt hatte. Auch das kam Marlan vor wie Tausende von Jahren alt, aber es war ganz natürlich, dass er sein eigenes Werkzeug machte und verwendete. Er brauchte nichts anderes.

Das Vorbereiten der Hasen war noch mal eine anstrengende Arbeit, bei der sie alle mithalfen. Doch dann irgendwann war das Feuer an, es war längst dunkel geworden und währenddessen war schon wieder viel erzählt worden.

Gonzo sagte: „Das Pirschen ist auch wichtig für mich, weil ich so alles genau kennenlerne. Ich will wissen, wer um mich herum lebt, und wie. Ich bin allein und doch nie allein....“

Dies nahm Marlan zum Anlass und sie fragte: „Gonzo, kennst Du eine alte Frau in einem schwarzen Kleid, sie hatte ihr graues Haar zu einem Knoten gewunden...“

Gonzo blickte erstaunt auf: „ Nun ja, das ist die übliche Bekleidung in dieser Gegend gewesen. Die Grossmütter, so nannten wir sie, als Kinder, wenn sie auf ihren Bänken vor den Häusern saßen, als diese noch bewohnt waren.“

Nun war es an Marlan, von ihrem Traum zu erzählen und sich als eine Sehende zu erkennen zu geben. Gonzos Gesicht wirkte weich und bewegt, als sie geendet hatte, und nun sprach er: “ Diese Höhle, und andere Älteste habe ich selbst ebenfalls schon in Träumen gesehen! Es kommt von diesem Ort her, da gibt es alte Legenden über die großen Steingräber. Nur haben diese bisher nie zu mir gesprochen. Ich sehe es als meinen Platz an. Doch euer Kommen ist kein Zufall. Das wusste ich. Es dauert nicht lange, dann kommt der Tag der Sonnenwende, und wir werden eine kleine Feier ausrichten! Wir werden sehen, ob noch andere Freunde uns bis dahin erreichen!“

 

 

 

DER große Tag ist gekommen.

Marlan hatte sich immer wieder in Meditationen geübt, damit sie die erforderliche Tiefe und Dauer einer Trance gut erreichen konnte. Es hatte sich niemand eingefunden, und Gonzo war ein wenig in Sorge begriffen. Doch angesichts der unklaren Lage vieler Orte, die zuvor einfach erreichbar gewesen waren, bedeutete es nicht unbedingt, dass seinen Freunden etwas passiert war.

Es ist, wie es sein soll“, Pinto hatte wie immer die beste Einstellung zu jeder Lebensslage. Der Abend des Sonnenwendetages war lang, es ist der längste Tag des Jahres. Alle drei Menschen saßen zusammen draußen an einem Feuerplatz, hatten gut gegessen und Lieder gesungen. Marlan räuchert mit Zweigen von Lavendel und Rosmarin, welche aromatischen Duft verbreiten. Sie summt die immer gleiche Melodie, ein altes Lied mit einem einfachen Gebet zu den Elementen, die uns allen das Leben geben.

Ruhe senkt sich herab. Die Sonne sinkt langsam und das Licht wirkt golden.

Nun schliesst Marlan die Augen, wiegt sich ein wenig im Sitzen, und begibt sich mit der Aufmerksamkeit nach innen,

 

In ihrer Vorstellung läuft sie in Richtung der großen Steine, dort findet sie einen Eingang, der sie ins Innere der Erde führt. Und da sie ein Bild in sich trägt, zu welchem Ort sie geführt werden möchte, nehmen die Wächter der Steine sie an die Hand und vorsichtig schreiten sie einher, bis nach einem Zeitraum, der nicht bemessen werden kann, die große Höhle aus ihrem Traum vor Marlan auftaucht. Und es ist nun klar, warum diese Höhle so überaus groß ist! Hier haben sich mit ihr eine ganze Menge anderer Menschen versammelt! Nicht alle sind alt. Da wir davon ausgehen, dass sich ihre Traumkörper hier befinden, kann man auch davon ausgehen, dass jeder sich die Gestalt gibt, die er möchte. Wenn er oder sie das kann.

Doch gewiss sind hier nicht wenige in der Gestaltwandlung geübt. Vor allem haben sich viele wirklich festlich eingekleidet. Aus einem der Eingänge tritt eine Delegation würdevoller afrikanischer Frauen in farbigen Gewändern hervor. Jedem wird von einer Schar hilfreicher Einweiser eine Öllampe in die Hand gedrückt, und diese hunderte kleiner Lichter bewirken, dass der ganze Raum in ein diffuses bewegliches Lichtermeer getaucht ist, so als befinde man sich am Meeresgrunde in einer Strömung. Und ebenso ergeht es uns mit den Geräuschen. „Auf und ab von Wellen, Tönen, und gemeinsame Gesänge branden hier und dort auf, erheben sich über die anderen Stimmen, die um dich umher summen.“ Dies ist nun Marlan, wie sie das Erlebte ihren Lieben, die am Feuer neben ihr sitzen, erzählt, so als seien sie direkt mit ihr dort.

 

Ich gehe auf eine kleine Gruppe zu, die im Kreis nahe bei mir sitzt. Und alle sind freundlich, schauen auf und machen Platz, damit ich mich dazu setzen kann. Es sind etwa 10 Leute hier, Männer und Frauen, ihre Augen scheinen vor Aufregung ebenso zu leuchten wie meine wohl auch! Nie zuvor konnten wir uns alle auf einmal begegnen! Und doch hier sind wir nun, all die Alten Seelen, die einst zusammen kamen, um hier in dieser Zeit mit der Erde zu gehen.Mit der Zeit zu gehen. Also, wie soll man es nur erklären, was geschieht. Wir haben ja auch nicht die Worte dafür. Denn hier sind wir ja wieder im zeitlosen Raum.“

 

Neben Marlan sitzt ein dunkehäutiger Mann in Anzug und Krawatte, daneben erkennt sie einen Angehörigen eines Hirtenstammes in einem Fellmantel mit wilden Locken. Und auch die Zeitalter scheinen sich vermischt zu haben. Jemand zaubert ein Kissen hervor und reicht es ihr nickend. Marlan lächelt erfreut, denn der Boden ist kalt und steinig. Eine Gruppe weiter entfernt beginnt nun rhythmisch mit Stöcken auf den Boden zu klopfen, und langsam stimmen sich die Gespräche und Töne in eine Art Summen ein, an dem alle teilnehmen. Ein unwirklicher Zustand stellt sich ein, dabei ist doch schon alles unwirklich. Die Gedanken hören auf, sich zu drehen und Frieden und Wärme breiten sich aus. Dies ist Gemeinschaft. Sie ist nicht mehr in der Lage, ihren Gefährten dort oben, wo ihr Körper am Feuer liegt, zu berichten, sondern sinkt ganz in diese andere Wirklichkeitsschicht ein.

Es ist das Treffen, zu dem ihr inneres Wissen sie seit Beginn der ganzen Reise hingeführt hat. Und nun ist es an einem Ort, den sie ohnehin nur von Innen erreichen konnte!

Durch welchen Vorgang auch immer, ein bläuliches Licht breitet sich aus und scheint von den Höhlenwänden. Vielleicht ist es das Summen, oder auch die Visualisierung von einigen. Denn in dieser Wirklichkeit erscheinen die Erscheinungen durch gezielte Vorstellung.

Und ebenso ist kein Sprechen im äusseren Raum vorhanden, sondern es erscheinen Worte im Inneren, wenn auch nicht in Gedanken wie sie es gewohnt ist, sondern sie hört deutlich eine weibliche sanfte Stimme. Diese Stimme spricht in englisch.

 

Liebe Freunde, Mitreisende dieses Planeten, Familie der Erde!

Es ist der Moment gekommen, in dem wir uns endlich entscheiden können. Es hat Unruhe gegeben auf der Erdenoberfläche, in manchen Weltgegenden habt ihr nichts davon gehört, andere aber sind völlig zerstört und unbewohnbar geworden. Das macht die Zeit dort nicht einfacher. Wir sind eine Familie durch viele Zeitalter hindurch geblieben, und haben immer das Wissen erhalten, durch die Zeit zu reisen, uns zu erinnern und die Werkzeuge des Geistes weiterzugeben, welche in der Zeitlosigkeit selbstverständliches Gut sind.

Ein Stamm von uns ist innerhalb der Erde geblieben, wo wir weitläufige Länder bewohnen. Den meisten Menschen oben sollte dies nicht bekannt werden, um unser ungestörtes Leben zu bewahren. Ihr sollt jedoch wissen, dass ihr eure Zeit wählen könnt, Nicht mehr bedeutet Alter oder Ältester zu sein, dass das Leben am Ende ist. Älteste werden immer gebraucht. „

 

Ganz begreifen kann Marlan das Gesagte noch nicht. Sie kann die Zeitlosigkeit wählen? Dass sie in verschiedene Zeiten reisen konnte, um Inkarnationen anzusehen, oder zu heilen, oder parallele Lebensstränge, wie immer man es nannte, wußte sie schon. Doch das war vorübergehend. Wie ist das nun mit der Zeitlosigkeit. Ist das menschenmöglich?

 

So als habe sie diese Fragen wahrgenommen, beginnt nach einer kleinen Pause, in der das Summen wieder ins Bewusstsein kommt, die Stimme in ihrem Kopf zu sprechen: „ Ich grüße Euch, mein Name ist Mani. Ihr kennt dieses Wort. Und richtig, es ist kein Menschenname. Ich spreche in Eurer Sprache. Menschen sind so viel mehr, als es Euch auf der Erde bisher gelungen war, zu verstehen und zu erleben.

Wenn Ihr wieder mit der Erde selbst und ihren Lebensformen in eine Ebene kommt, so ist möglich, was Menschen allein nicht möglich war.

Immer wieder versuchten sie es, mit Kontrolle über unsere Naturreiche, mit technischen und magischen Mitteln, und doch hat dies immer nur zu Zerstörung geführt.

Auch die derzeitige Situation auf der Oberfläche wurde durch zuviel Wollen herbeigeführt, ohne die wahre Dimension wahrhaben zu können.

Für uns ist es möglich, neu zu erschaffen. Keine Zerstörung kann die Zeitlosigkeit erreichen. Wie viele von Euch wissen, wurden die Zugänge für Euch Menschen blockiert, von Eurer Seite Orte entweiht, die jene Tore zu uns enthalten. Einstmals waren diese für alle Menschen offen. Doch auch von uns aus wurden sie geschützt. Geheimnisse mußten gewahrt bleiben und erst zu späteren Zeiten wiederentdeckt. Das hat Euch oft Kummer bereitet, weil ihr sie verloren glaubtet. So wisset nun, dass wir in der Zeitlosigkeit alles Wissen hüten, um die Ursubstanz und die Wege des Lebens selbst. Ihr Anwesenden habt die Tore gefunden, alte und neue, und seid somit die Hüter aus der Menschen Welt, sofern ihr euch selbst dafür entscheidet. Auch ihr seid dabei geschützt.“

 

Nach diesen Worten wird das Summen in der Höhle wieder lauter und Marlan öffnet die Augen wieder, um sich umzublicken. Sie bewegt ihre Hände, reibt sich über das Gesicht. Auch ihre Mithüter, wie sie sie jetzt nennt, stehen langsam auf, um sich gegenseitig in die Augen zu schauen, ihre Namen zu sagen, und auch ihre Orte mitzuteilen. Da sie mehrere hundert sein müssen, kann dies nicht wirklich in ihrem Traum-Wachbewusstsein Platz finden. Doch in den kleinen Gruppen beginnt nun das Ältestentreffen erst richtig! Verbindungslinien zwischen den Orten und ihren Hütern werden besprochen. Jeder kommt der Reihe nach dazu, seinen derzeitigen Ort auf der Erde vorzustellen. Es wird auch klar, dass an diesen Orten kleine Gemeinschaften mit Lernenden leben können. Die Form des Lernens allerdings wird eine völlig andere sein als gewohnt. Es geht immer nur darum, die Kommunikation zu den Wesenheiten der Natur als das Wichtigste zu begreifen. Und dies nicht etwa, um ihre Unterdrückung zu erzeugen, wie das immer wieder geschehen war.

Auch ihre Namen sind zwar schön zu kennen, doch wurden sie zu oft in Götterfiguren umgewandelt, die Namen selbst erhielten Macht, und diese alte Geschichte hat sich viel zu sehr am Menschen in seiner begrenzten Form orientiert.

 

Jaaa,“ sagt Marlan langsam, als sie an der Reihe ist zu sprechen. „ Und so kam es wohl, dass auch Namen, Wörter und Bücher zu Toren wurden....In ihnen können Wesenheiten zu Wort kommen. Ich habe ein solches altes Buch gefunden, welches niemand von uns lesen kann.“ Sie hat das goldene Buch, welches sie während ihrer Wanderung mit Melchor in einer Kirche entdeckt hatte, unter ihrem Mantel und hält es nun in die Runde. „ Für wen es Bedeutung haben mag, er kann sich auf die Reise zu uns machen. Wir befinden uns im großen alten Gebirge Süd- Europas und der Ort heißt casa madeira.“

Ich möchte auch gern erfahren, ob sich ein Mann unter uns befindet, welcher Löwe genannt wird. Bitte nennt ihm diesen Ort, und die Mitteilung, dass sein Freund Melchor bis vor kurzem mit mir, Marlan von der casa madeira gereist ist. Es geht ihm gut. Danke. Aho.“

 

Es wird auch besprochen, wie sich diese kleine Gruppe regelmässig wieder begegnen kann, und dazu Tage ausgewählt, welche ebenfalls wie Tore wirken, wo der Zugang in die Zeitlosigkeit leichter ist. Und vor allem der Zeitpunkt an allen Orten der Erde der gleiche. Es klingt ein wenig seltsam, einen Zeitpunkt für die Zeitlosigkeit. Nun sind die Wege für ein Miteinander und eine gemeinsame Entwicklung offen.

 

Marlan bemerkt, dass ihre Aufmerksamkeit ermüdet ist, und sie sich langsam fortbewegt von der lebhaften Szene, an der sie intensiv teilhatte. Mit reich erfülltem Herzen taucht ihr Bewusstsein wieder in den Körper des Echtlebens ein,

 

Vieles, so vieles wird noch mitzuteilen sein, mit den Gefährten zu teilen und zu entwickeln. Doch die Grundvoraussetzung des Naturbewusstseins in sich, die haben diese ja schon. Marlan hört die Stimmen Pintos und Gonzos, wie sie leise singen, den Klang der Gitarrensaiten, und ihr wird klar, dass ihrer Gefährten der casa madeira auf ihre Weise dafür gesorgt haben, dass sie den Ort wiederfindet, und sie während dieser Reise durch das Tor geschützt haben.

Alle Rechte Kayute Kühn 2018

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Goldenen

San Sebastian, La Gomera

 

Die Nymphen des Brunnens

Spielen mit einer goldenen Kugel

Sie lachen und wachen

Eine rotgoldene Kuppel über ihnen

Mögen sie die Herzen erreichen

Die Härten erweichen

Für die Kräfte aus des Universums Weiten.

 

Die Berggöttin

Sie steht mit den Füssen tief in den Felsen

Sie ist braungolden, rotes Haar, ihr Kleid aus weissen Ginsterblüten

Das Leben, die Geliebte des Teide

Blauweisser weicher Umarmung

Vereinigung von Himmel und Erde

 

Die Goldenen

Sind die Elben

Sie sorgen für die Netze aus

Goldenem und silbernem Licht

Sie tragen die Regenbogenstrahlen

Überall hin.

Sonnenmenschen

Opalophine, Orolian, White Eagle – Sie sind Brunnen der Klarheit, aus denen ich schöpfe, mich zu beleben. Sternenleute und Sonnenmenschen, überdimensional mit uns verwoben. Doch eben so sind die Bäume, die Pflanzen und Tiere mit ihnen und mit uns verwoben. Betrachtet mal die Erde als ein Gewebe aus Lichtfäden, die unzähligen Arten von Leben – jede besonders, und alle mit einem gemeinsamen Herz, um das sie sich versammeln und tanzen. Da ist nichts Schweres, Feststehendes.

Unser Herz ist der Anker, welcher uns hier hält. Wir können es auch in die Weite öffnen. Nichts geht dabei verloren. Die Namen der Pfadfinder helfen als Geländer, an dem wir unser Gleichgewicht halten können, während wir lernen, mit dem Gewebe zu tanzen. Wir lernen, das Leben auf der Erde wahrhaftig zu erleben. Ich nenne die zu gründenden Heilungskreise  being alive circle. Das bedeutet einen Kreis der lebendig ist, sowie einen Kreis aus Lebewesen. Die Auffassung davon, was als lebendig gilt,  wäre zu verändern.

Kayute Sonnenspirit 2014